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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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wurde, welches sein schwierigstes Interview gewesen sei, nannte er das Gespräch mit Vidal, und zwar weil der Autor darauf bestanden habe, über Bisexualität zu sprechen, obwohl sie doch ausschließlich über Politik diskutieren wollten. Die Positionen waren also genau vertauscht – und das, wie erwartet, im Dienste der Selbsterhöhung: Brokaw wirkt besser, wenn er sich nicht für Bisexualität, sondern für Politik interessiert.
    Wie man aus Laborexperimenten weiß, neigen wir in Diskussionen mit anderen Menschen von Natur aus dazu, die guten Argumente in der Erinnerung uns selbst und die schlechten dem anderen zuzuschreiben; gleichzeitig vergessen wir jene, die sich für uns als schlecht und für den anderen als gut erwiesen haben. Damit festigen wir natürlich unsere eigene Seite und unser Selbstbild, und genau das ist vermutlich der Zweck. Erinnerungsverzerrungen sind umso wirksamer, je stärker sie dazu dienen, unser Selbstwertgefühl zu stützen, Fehler oder schlechte Entscheidungen zu entschuldigen und die Ursachen aktueller Probleme tiefer in die Vergangenheit zu schieben. Auf diese Weise – und weil sie Fehler, die sich nicht leugnen lassen, dem Versagen einer früheren Form des eigenen Ich zuschreiben – gelingt es den meisten Menschen, eine Illusion der Verbesserung aufrechtzuerhalten. 6
    Rationalisierung und einseitige Berichte
    Wir rekonstruieren innere Motive und Abläufe, um ein ansonsten schlechtes oder fragwürdiges Verhalten vernunftgemäß zu begründen. Zu unserer Verteidigung führen wir das Verhalten nicht auf innere Ursachen, sondern auf äußere Unwägbarkeiten zurück. Deshalb dient die verbreitete Ansicht, Lügen sei nichts Schlechtes – oder es geschehe unabsichtlich oder in einer Welt ohne freien Willen – zur Rationalisierung unserer Betrügereien.
    Einseitigkeit zeigt sich an unerwarteten Orten, und das selbst dann, wenn damit kein erkennbarer Gewinn oder Verlust verbunden ist. Das klassische Experiment in diesem Bereich wurde wunderschön so gestaltet, dass Menschen in eine unangenehme Situation gerieten und auf zweierlei Weise daraus entkommen konnten. Man bot ihnen dabei die Wahl, mit einem Behinderten oder einem Nichtbehinderten fernzusehen. 7 Manchmal zeigten beide Geräte die gleiche Sendung, manchmal unterschiedliche. Wenn es die gleiche Sendung war, entschieden sich die Versuchspersonen bevorzugt, sich neben den Behinderten zu setzen, als wollten sie damit signalisieren, dass sie keine Vorurteile hegten; zeigten die beiden Geräte dagegen unterschiedliche Sendungen, setzten sie sich von dem Behinderten weg, als hätten sie jetzt eine Rechtfertigung (die interessantere Sendung) für eine ansonsten willkürliche Entscheidung. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte auch eine Metaanalyse vieler Studien: Weiße Amerikaner helfen Schwarzen ungefähr genauso oft wie Weißen, dies gilt aber nicht, wenn sie für die unterlassene Hilfeleistung bestimmte Gründe wie etwa Entfernung oder Risiko anführen können. Die Menschen leugnen hier ihr Verhalten nicht und erinnern sich auch nicht falsch daran, sondern sie leugnen die dahinterstehende Absicht und rationalisieren sie als Produkt äußerer Einflüsse. Dies hat den Vorteil, dass die Verantwortung für das eigene Verhalten verringert wird.
    Der Glaube an ein vorbestimmtes Schicksal kann ebenso leicht als Entschuldigung für falsches Verhalten dienen wie das Unbewusste: Wir verteidigen uns nach dem Motto »ich hatte keine andere Wahl«. Eine relativ deterministische Ansicht über das Verhalten der Menschen kann eine Art Tarnung für sozial schädliches Verhalten darstellen. Erzeugt man im Experiment eine deterministische Ansicht (indem man die Versuchspersonen einen Aufsatz darüber lesen lässt, wie Gene und Umwelt gemeinsam über das Verhalten der Menschen bestimmen), steigt der Anteil der Täuschungen in einer computerbasierten Aufgabe, die heimliche Täuschung zulässt. Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn man eine Variable manipuliert, durch die sich die persönliche Verantwortung verringert, sind wir leichter veranlasst, uns unmoralisch (zumindest aus Sicht anderer) zu verhalten.
    Voraussage zukünftiger Gefühle
    Interessant ist, dass wir auch in unserer Fähigkeit, unsere zukünftigen Gefühle vorherzusagen, eine systematische Voreingenommenheit erkennen lassen. Wir begehen dabei systematisch Fehler nach der allgemeinen Regel, dass das, was wir derzeit empfinden, sich auch in Zukunft fortsetzen wird. Wenn wir uns ein gutes

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