Betrug und Selbstbetrug
nur Ökosysteme, sondern das ganze Universum. Die Religion begünstigt ein solches Prinzip mit Sicherheit, denn sie gerät immer in die Versuchung, größere Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, als es gerechtfertigt ist. Die Naturwissenschaften bieten eine gewisse Hoffnung, denn sie verfügen über eine Reihe innerer Mechanismen, die vor Täuschung und Selbsttäuschung schützen; auch sie sind aber anfällig für die Konstruktion von Pseudowissenschaften (Freud), ganz zu schweigen von regelrechtem Betrug. Auf lange Sicht jedoch hat Falschheit keine Chance; das ist der Grund, warum die Naturwissenschaften in der Regel konkurrierenden Denksystemen überlegen sind.
1 Gravitation lenkt das Licht ab: nachgewiesen von Arthur Eddington 1919 ; Verhältnis der Investitionen bei Ameisen: Trivers und Hare 1976 ; Übersicht über neuere Arbeiten: West 2009 .
2 Säuglingsmord durch Langurenmännchen: Übersicht in Trivers 1985 ; für DNA -Befunde hierzu siehe Borries et al. 1999 .
3 Aggression gut für die Spezies: Lorenz 1966 .
4 Marktkräfte begrenzen von Natur aus die Kosten der Täuschung: Berichte über die jüngste Wiederauferstehung dieses Trugschlusses bei Krugman und Wells 2011 und Madrick 2011 ; siehe auch Krugman 2009 .
5 Evolution von Merkmalen für das Labor: siehe die einschlägigen Kapitel in Hammerstein 2003 ; Übersicht über den Trugschluss in Trivers 2005 .
6 Vernarrtheit in schöne Mathematik: Krugman 2009 .
7 Der Fall Schreber: Schatzman 1973 ; das bösartige kulturelle Phänomen des Freudianismus in den USA : Tiorrey 1992 .
8 Freud-Zitat: Rosenzweig 1997 (Übers. Sebastian Vogel); Feynmans Zitat aus seiner Vorlesung vor Studenten der Cornell University: http://www.youtube.com/watch?v=b240PGCMwV0 .
Kapitel 14
Wider die Selbsttäuschung in
unserem Leben
In meinem Leben gibt es zwei Kategorien der Selbsttäuschung: die persönliche, die sich auf die Beziehungen zu meiner Umwelt auswirkt, und die allgemeine, die meine wissenschaftliche Arbeit und meine darüber hinausreichende Interpretation der Gesellschaft im Ganzen betrifft. Die erste ist intimer und enger an die biologischen Aspekte der Beziehungen gekoppelt, die mir am wichtigsten sind. Die zweite ist ein Unterfangen, das sich auf das Denken von viel mehr Menschen auswirkt, die jedoch meist in einer weniger engen Beziehung zu mir stehen.
Was das eigene Leben betrifft, so ist das Lernen aus Erfahrung mit einem Problem verbunden: Das Leben ist wie eine Zugfahrt, bei der man entgegen der Fahrtrichtung sitzt. Wir sehen die Realität erst, nachdem sie an uns vorübergezogen ist. Wie die Neurophysiologie gezeigt hat, stimmt das ganz buchstäblich (Kapitel 3 ). Eintreffende Informationen und unsere inneren Handlungsabsichten sehen wir (bewusst) erst im Nachhinein. Anscheinend ist es schwierig, im Nachhinein zu lernen, was man im Voraus vorhersehen sollte; deshalb ist unsere Fähigkeit, die Zukunft – selbst die unseres eigenen Verhaltens – zu sehen, häufig sehr begrenzt. Ich bin überzeugt, dass ich über meine eigene Selbsttäuschung eine Menge gelernt habe, aber nicht so, dass es mich daran hindern würde, sie – oftmals ganz genauso – zu wiederholen. An einem Problem beispielsweise, das ich häufig habe, sind sowohl Konflikte als auch Selbsttäuschung beteiligt: Jemand fügt mir einen Schaden zu, und ich male mir eine boshafte Reaktion aus – einen gehässigen Brief oder eine andere verachtende Geste. Dann sagt meine untergetauchte Seite: »Aber Robert, in dieser Situation bist du doch schon 614- mal gewesen, und jedes Mal hast du dich zu einer gehässigen Reaktion hinreißen lassen, die du aber auch jedes Mal schon kurz danach wieder bereut hast. Dieses Mal ist es nicht anders. Also lass es bleiben.« Daraufhin brüllt der dominierende Teil meiner Persönlichkeit zurück: »Nein, dieses Mal ist es wirklich anders. Dieses Mal werde ich zufrieden und glücklich sein.« Und so nimmt dann Fehler 615 seinen Lauf. Oder wie es in einem alten chinesischen Sprichwort so schön heißt: »Wenn du Rache planst, hebe nicht ein Grab aus, sondern zwei.«
Dagegen stelle ich mir vor – wobei es sich allerdings um völlige Selbsttäuschung handeln könnte –, dass mein Leben, das insbesondere auf dem Weg über Wissenschaft und Logik der Wahrheit verpflichtet war, meinen Geist im Laufe der Jahre so geformt hat, dass ich in beruflichen Belangen relativ wenig Selbsttäuschung praktiziere. Tatsächlich bin ich ein wenig kritischer und detailverliebter
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