Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
erraten.« Ihre Sprechweise hatte etwas Zögerndes, Wohlüberlegtes an sich, als hätte sie zwar jedes einzelne Wort sorgfältig ausgewählt, wäre aber trotzdem der Meinung, nur völlig unzureichend das ausdrücken zu können, was sie sagen wollte. In Washington vor dem Wissenschaftsgericht, wo alle ihre Äußerungen wohl gewissenhaft vorbereitet gewesen waren, war mir das nicht aufgefallen. Die langsame Redeweise stand in markantem Gegensatz zu dem Tempo, in dem sie zu ›Jon‹ gesprochen hatte.
    Annie sah zu, wie die Nadel in Lizzies Hals verschwand. Sie kniete völlig reglos auf dem Saum ihrer schmutzigen Parka und schmierte halbverfaulte Blätter über den perfekt glatten weißen Boden.
    Der Augenblick hatte etwas Surreales an sich. Miranda hatte nicht einmal gezögert, ehe sie die Nadel ansetzte! »Wollen Sie es ihnen nicht wenigstens erklären«, preßte ich hervor, »um ihnen eine Alternative zu geben…?«
    Miranda antwortete nicht. Statt dessen zog sie eine zweite Spritze aus der Tasche und verabreichte sie Billy.
    Mit einemmal überkam mich die verrückte Vorstellung all der Fettablagerungen in seinen Arterien, all der tödlichen Viren, die jahrelang in seinen Lymphknoten auf der Lauer gelegen und darauf gewartet haben mochten, daß der Körper geschwächt ist, all der schädlichen, fehlerhaften Kopien normaler DNA, die sich in achtundsechzig Jahren in Billys Knochen, Fleisch und Blut angesammelt hatten… Ich konnte nicht sprechen.
    Miranda zog eine dritte Spritze heraus und wandte sich Annie zu, die jedoch sofort abwehrend die Hand ausstreckte: »Nein, liebe Dame, nein, bitte, ich bin nich’ krank…!«
    »Das werden Sie aber sein«, sagte Miranda, »ohne das hier. Und zwar bald.« Sie wartete.
    Annie beugte den Kopf. Es wirkte wie ein Gebet auf mich, und das brachte mich plötzlich und aus unerfindlichem Grund in Wut. Miranda gab Annie die Spritze.
    Dann sah sie mich an.
    »Wie toxisch ist das mutierte Vir…«
    »Lethal. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Und leicht übertragbar. Sie werden sich anstecken.«
    »Wie wollen Sie das wissen? Geht die Fabrikation und Freisetzung des Virus auf das Konto Ihrer Leute? Ja?«
    »Nein«, sagte sie, so ruhig, als hätte ich sie gefragt, ob es regnet. Aber an ihrem Hals pulsierte eine Ader, und sie war so gespannt wie eine Harfensaite – und so nahe dran, bei jeder Berührung zu vibrieren. Ich wußte nur nicht, von wem die Berührung kommen mußte. Ich starrte auf die Spritze in ihrer Hand: lang, dünn, schwarz, die Flüssigkeit in ihrem Innern verborgen. Welche Farbe hatte sie wohl? Diese Flüssigkeit befand sich schon in Lizzies Körper, in Billys, in Annies Körper.
    »Aber ich bin doch eine Macherin!« entfuhr es mir unbeabsichtigt.
    Miranda sagte: »Ich habe selbst eine solche Spritze bekommen. Vor Monaten schon. Es ist kein unerprobtes Verfahren.«
    Es war ihr völlig entgangen, was ich gemeint hatte; es lag außerhalb ihres Wahrnehmungsbereichs. Dann gab es so etwas offenbar doch… Ich sagte: »Sie sind so…«, ohne zu wissen, wie ich den Satz beenden wollte.
    »Wir haben nicht viel Zeit. Bitte beugen Sie sich vor, Frau Doktor Turner.«
    Ich platzte heraus – zu meiner immerwährenden Schande muß ich es gestehen, denn es war so nichtig in diesem Moment: »In Wirklichkeit bin ich gar keine Ärztin!«
    Zum erstenmal lächelte Miranda leicht. »Ich auch nicht, Diana.«
    »Warum haben wir nicht viel Zeit? Was wird denn geschehen? Ich bin noch nicht krank, und Sie wollen trotzdem meine ganze Körperchemie verändern, also lassen Sie mich wenigstens eine Sekunde lang nachdenken…«
    Plötzlich erschien ein Bildschirm in der Wand. Obwohl das – im Unterschied zur Tür – ganz gewiß nicht mehr war als völlig normale Technik, fuhr ich hoch, als wäre ein Engel mit dem Flammenschwert erschienen. Aber der Engel stand vor mir und starrte den Schirm an, als würde der Anblick ihn schmerzen; das Schwert in seiner Hand zitterte, und ich würde sterben, nicht, weil ich von diesem speziellen gentechnisch konstruierten Apfel gekostet hatte, sondern weil ich es unterließ.
    Sie ließ mir keine Wahl. Der Bildschirm zeigte ein Flugzeug, das an einem Ort landete, wo ein Flugzeug einfach nicht landen konnte – ein zusammengefaltetes Ding, das senkrecht aufsetzte wie ein rotorloser Hubschrauber, aber weitaus präziser als jeder Hubschrauber: Es landete auf demselben Fleckchen Land zwischen Fluß und Berghang, wo ich brüllend verlangt hatte, nach Eden eingelassen zu

Weitere Kostenlose Bücher