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Bettler 02 - Bettler und Sucher

Titel: Bettler 02 - Bettler und Sucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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einfach kein Wort über die Lippen kommen. Ich stand bloß da und starrte das rote Haarband an.
    Sie war all das, was ich nicht war.
    Annie fiel auf die Knie. Der Saum ihrer dreckigen Parka schwappte derb über den glänzenden Boden, und sie erhob die Augen wie zu einem Engel. Vielleicht hielt sie Miranda für einen solchen.
    »Meine liebe Dame, Sie müssen uns helfen! Meine Lizzie da, die stirbt sonst, die hat irgend so ‘ne Krankheit! Billy sagt, sie stirbt! Un’ die Frau Doktor Turner sagt, die is’ nich’ natürlich, die Krankheit, die kommt von den GenMods! Un’ Billy, der war immer so gut zu uns, un’ dabei hat er rein gar nichts davon – aber Lizzie, meine Kleine, die…« Sie fing an zu weinen.
    Bei den Worten »Frau Doktor Turner« richteten sich Mirandas Augen eine Sekunde lang auf mich, ehe sie wieder zu Annie zurückkehrten. Es war, als würde einen ein Laser bestreichen. Ich hatte das Gefühl, in dieser einen Sekunde erfuhr sie alles, was es über mich zu wissen gab: meine Decknamen, meine geheim bleiben sollende und nur sehr am Rande vorhandene Zugehörigkeit zur AEGS, die ganze Liste meiner bisherigen Wohnorte, Pseudojobs, Pseudolieben. Ich fühlte mich nackt, nackt bis hinab zu jeder einzelnen Körperzelle. Ich rief mich zur Ordnung, zwang mich, damit augenblicklich aufzuhören. Sie hatte doch keine übernatürlichen Kräfte, sie war nur ein Mensch, nur eine Frau – zwar mit dem Hintergrund einer ehrfurchteinflößenden Technik und mit einem unvorstellbar leistungsfähigen Gehirn und mit Gedanken, die ich nie haben würde und nicht einmal verstehen könnte, wenn man sie mir geduldig erklärte…
    Genau so fühlten sich Nutzer, wenn sie Machern wie mir gegenüberstanden.
    Immer noch auf Knien sagte Annie durch ihre Tränen hindurch: »Bitte.« Nur dieses eine Wort. An jenem Ort besaß es eine überraschende Würde.
    Eine Tür öffnete sich in der Wand hinter Miranda, eine Tür, die einen Moment zuvor nicht einmal andeutungsweise existiert hatte, und ein Mann steckte den Kopf durch. »Miri, sie sind auf dem Weg…«
    »Du gehst, Jon«, sagte sie. Es waren die ersten Worte aus ihrem Mund.
    Jon hatte den gleichen unförmigen Kopf wie Miranda, aber dazu ein ausnehmend hübsches Gesicht – eine bizarre, beunruhigende Kombination: als hätte das Untier aus der Sage das Gesicht eines Collies. Seine Lippen wurden schmal. »Miri, du kannst einfach nicht…«
    »Das ist doch bereits festgelegt!« schnauzte sie ihn an, und zum erstenmal bemerkte ich, daß sie unter enormem Druck stand. Doch dann drehte sie sich zu ihm um und stieß ein paar Worte hervor, die ich nicht verstand, weil sie so rasch sprach. Ungeachtet des Tempos, in dem sie gesagt wurden, hinterließen die Worte den sonderbaren Eindruck, separate Botschaften zu sein, jedes einzelne davon mehr eine geheime Mitteilung als Teil eines grammatikalischen Ganzen… aber das war nur ein persönlicher Gedanke. Miranda trug einen Ring, ein schmales rubinbesetztes Goldband, am Ringfinger ihrer linken Hand.
    Jon zog sich zurück, und die ›Tür‹ verschwand. Nicht der geringste Hinweis blieb zurück, daß sie je existiert hatte.
    Miranda legte die Hand auf Annies Schulter. Die Hand zitterte. »Weinen Sie nicht. Ich kann beiden helfen, denke ich. Ganz gewiß aber Ihrer Tochter.«
    Doch es war Billy, an dessen Seite sie sich zuerst niederließ. Sie hielt ein kleines Kästchen an sein Herz und studierte den winzigen Bildschirm darauf. Dann legte sie das Kästchen an seinen Hals und sah wieder auf den Schirm, ehe sie ein Arzneipflaster aufklebte. Ihr zuzusehen beruhigte mich ungemein; das war bekanntes Terrain: sie behandelte Billys Herzanfall, wenn es das war.
    Sein Atem kam zusehends weniger mühsam, und er stöhnte leicht.
    Miranda wandte sich Lizzie zu. Sie zog eine lange, dünne, mattschwarze Injektionsspritze aus der Hosentasche. Die meisten Medikamente werden in Form von Hautpflastern verabreicht, nur mehr sehr wenige per Injektion; irgend etwas drehte sich in meiner Brust herum.
    Ich sagte: »Sie hat schon ein Breitband-Antibiotikum und ein Antiviral aus einer RoboAmbulanz, Modell K, erhalten. Das Gerät sagte, es handle sich um ein unbekanntes Virus, außerhalb der Konfiguration jegliches künstlich hergestellten Mikroorganismus, Sie müßten das Medikament neu herstellen, wenn Sie können…«
    Ich brabbelte sinnlos vor mich hin; Miranda sah nicht einmal auf. »Dies ist der Zellreiniger, Frau Doktor Turner. Aber ich denke, das haben Sie schon

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