Bettler 02 - Bettler und Sucher
Auswirkungen am lebenden Objekt hatte Huevos Verdes nicht mehr Chancen auf Vermarktung von Fall 1892-A als auf Vermarktung von pulverisiertem Einhornhorn. Selbst wenn das Wissenschaftsgericht für weitere Untersuchungen grünes Licht gab, hatte ich nicht vor, mir demnächst meinen eigenen Privatzellreiniger anzuschaffen.
Ich ging in mich, um nachzuforschen, wie mir das gefiel, während ein erneutes Raunen durch die Reihen des Publikums lief: Enttäuschung? Befriedigung? Ärger? Es schien aus allen drei Komponenten zu bestehen.
»Die folgenden Punkte«, fuhr Vorsitzende Yongers mit erhobener Stimme fort, »sind als strittig zu betrachten.« Der Saal beruhigte sich.
»Punkt eins: Der Zellreiniger fügt gesunden menschlichen Zellen, Geweben oder Organen keinerlei Schaden zu.«
Sie schwieg. Das war es wohl. Punkt eins, der nicht einvernehmlich außer Streit gestellt werden konnte. Aber dieser eine Punkt, das war überdeutlich in Yongers’ Gesicht zu lesen, reichte bereits: Wer wollte schon eine zellgereinigte, perfekt reparierte Leiche?
»Die erste Stellungnahme zur Begründung des Einspruchs gegen die Erteilung des Patents. Doktor Lee, bitte.«
Es gab auch eine gedruckte Zusammenfassung, die Doktor Lees Ausführungen klar umriß – eine glückliche Fügung, denn Doktor Lee war dazu nicht in der Lage. Jeder Satz wurde von einem Kometenschweif aus Beweisen, präzisierenden Beifügungen und einem Wust an Formeln gefolgt, und alles davon betrachtete er ganz offensichtlich als persönliches Ruhmesblatt. Die technische Kommission lauschte ergriffen und machte sich Notizen. Der Rest der Menschheit nahm Zuflucht zum ausgedruckten Text, der seine hochtrabenden, geschwätzigen Ansichten auf den Punkt brachte:
Die strittige Behauptung lautet: »Der Zellreiniger fügt gesunden menschlichen Zellen, Geweben und Organen keinerlei Schaden zu.«
Der Einwand lautet: Es gibt keine Möglichkeit, sicher festzustellen, daß der Zellreiniger gesunden menschlichen Zellen, Organen oder Geweben keinerlei Schaden zufügt:
Labortests eignen sich nur ungenügend zur Vorhersage der Auswirkungen von Biosubstanzen auf den lebenden menschlichen Körper. Siehe CDC Hypertext-File 68164.
Keine der Untersuchungen an Partiellorganismen hat die Auswirkungen des Zellreinigers auf das menschliche Gehirn behandelt. Die Gehirnsubstanz kann völlig anders reagieren als derberes Körpergewebe. Siehe CDC Hypertext-File 68732.
Die vorgelegten Untersuchungsergebnisse der Langzeitauswirkungen umfassen nur einen Zeitraum von zwei Jahren. Viele Biosubstanzen lassen erst nach längeren Zeiträumen unvorhergesehene Nebeneffekte erkennen. Siehe CDC Hypertext-File 88812.
Die Liste der sogenannten ›vorprogrammierten symbiotischen bakteriellen DNA‹, welche der Zellreiniger nicht zerstören soll, muß sich nicht unbedingt mit der kompletten Liste jener nützlichen körperfremden Organismen decken, die in einem lebenden menschlichen Körper vorhanden sind. Der menschliche Körper enthält mehr als zehntausend Milliarden Proteinteilchen, die miteinander in einem äußerst komplexen Wechselspiel stehen, einschließlich Hunderttausender verschiedener Molekülarten, von denen einige erst zum Teil erforscht sind. In der vorprogrammierten Liste könnten lebenswichtige Organismen fehlen, die der Zellreiniger infolgedessen zerstören würde, was gewaltige funktionelle Verstimmungen, unter Umständen mit Todesfolge, hervorrufen könnte.
Über längere Zeit hinweg könnten sich aus der Vermehrung des Zellreinigers Probleme ergeben. Da er etwas in den Körper einbringt, das im wesentlichen konkurrierende DNA ist, besteht die latent vorhandene Möglichkeit, daß er selbst zu einem künstlich hervorgerufenen Karzinom wird. Siehe CDC Hypertext-File 4536.
Meine Gedanken kreisten um den merkwürdigen Humor des Druckprogramms, das das Wort ›Karzinom‹ dunkler gemacht hatte als den Rest.
Für seine erste Stellungnahme, der ich kaum folgen konnte, benötigte Doktor Lee den ganzen Vormittag; keine Sekunde lang zweifelte ich an seiner Aufrichtigkeit. Sein Argument schien in die Richtung zu gehen, daß man dem Zellreiniger keine Gefahrlosigkeit bescheinigen konnte ohne vorherige, mindestens ein Jahrzehnt lang laufende Tests an echten, vollständigen menschlichen Organismen. (Ich entschloß mich gegen das Nachschlagen des Begriffs ›Partiellorganismus‹. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen.) Da es jedoch inhuman war, echte menschliche
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