Bettler 02 - Bettler und Sucher
Wesen solchen Risiken zu unterwerfen, bestand keine Möglichkeit, die Gefahrlosigkeit des Zellreinigers zu beweisen. Und falls sein Einsatz nicht gefahrlos war, bestand die Möglichkeit für geradezu spektakuläre Katastrophen – eingeschlossen, in der schrulligen Formulierung des gedruckten Textes, ›gewaltige funktionelle Verstimmungen, unter Umständen mit Todesfolge‹.
Daher wäre eine Empfehlung angezeigt, den Zellreiniger nicht zum praktischen Einsatz zuzulassen, auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten keine weiteren Untersuchungen damit zu gestatten und ihn auf die Schwarze Liste des Internationalen Beirats für genetische Modifikationen zu setzen.
Anscheinend hatten wir das Stadium der Tatsachenfeststellung bereits hinter uns gelassen und befanden uns schon mitten in jenem der politischen Empfehlungen. Washington bleibt Washington. Tatsachen sind Politik; Politik ist Tatsache.
Es war Viertel vor zwölf, als Doktor Lee seinen Vortrag beendete. Vorsitzende Yongers beugte sich über das Pult. »Miss Sharifi, es ist fast Zeit für die Mittagspause. Würden Sie Ihre erste Stellungnahme lieber auf den Nachmittag verschieben?«
»Nein, Frau Vorsitzende. Ich werde mich kurz fassen.« Warum hatte Leisha Camden Miranda nicht geraten, die rote Haarschleife wegzulassen? Sie verlieh ihr eine Alice-im-Wunderland-Kindlichkeit, die sich in diesem Fall als Nachteil erweisen konnte. Ihre Stimme klang ruhig und leidenschaftslos.
»Das Produkt, über dessen Zulassung Sie heute befinden, ist die wichtigste Entwicklung zur Rettung menschlichen Lebens seit der Entdeckung der Antibiotika. Doktor Lee spricht von den Gefahren für den Körper, wenn die Nanotechnik des Zellreinigers versagt, ungenau programmiert wird oder unbekannte Nebenwirkungen verursacht. Er erwähnt jedoch mit keinem Wort all die Menschen, die ohne diese Neuerung vorzeitig oder unter großen Schmerzen sterben werden. Er würde eher einen einzelnen davor schützen, durch den Einsatz des Zellreinigers zu sterben, als Hunderttausende durch seinen Einsatz weiterleben zu lassen. Dieses Verhalten ist zutiefst unmoralisch.
Sie verhalten sich alle unmoralisch, Sie alle! Der einzige Daseinszweck dieses sogenannten wissenschaftlichen Forums besteht darin, die Profite der Arzneimittelfirmen auf Kosten der Kranken und Sterbenden zu schützen! Sie alle sind moralische Faschisten, die die Macht des Staates dazu benutzen, jenen zu schaden, die bereits schwach und machtlos sind, denn diese Menschen sollen nach Ihrem Willen auch weiterhin machtlos bleiben, damit Ihre eigene Macht gesichert ist. Und ich nehme keinen einzelnen aus Ihrem Kreis von meinen Anschuldigungen aus, auch nicht die Wissenschafter, die sich mit dem Profit und der Macht verschworen haben und ihnen so die Wissenschaft ausliefern.
Mit dem Zellreiniger bietet Huevos Verdes Ihnen Leben an. Obwohl Sie dieses Leben nicht verdienen. Doch wenn die Huevos Verdes Corporation ein Produkt anbietet, unterscheidet sie nicht zwischen denen, die es verdienen, und denen, die es nicht verdienen. Sie tun das, jedesmal wenn Ihre Vorschriften die genetischen oder nanotechnischen Forschungsarbeiten unterdrücken, jedesmal, wenn diese unterlassenen Forschungen irgend jemanden das Leben kosten. Sie sind Mörder, Sie alle, Mörder im Sold der Politik und der Wirtschaft, die nicht besser geeignet sind, echte Wissenschaft zu beurteilen als die Tiere des Dschungels, deren Moral Sie sich zu eigen gemacht haben. Nichtsdestoweniger bietet Ihnen die Huevos Verdes Corporation den Zellreiniger an, und ich werde Ihnen hier die Sicherheit seiner Anwendung beweisen, auch wenn ich daran zweifle, daß unter Ihnen jemand ist, der über die Fähigkeiten verfügt, die wissenschaftliche Seite dessen zu verstehen, was ich erklären werde.«
Miranda Sharifi setzte sich.
Die Kommission wirkte leicht benommen – verständlicherweise, würde ich sagen. Was ich interessanter fand, war, daß auch Leisha Camden ein wenig benommen dreinsah. Anscheinend hatte sie von der Rede ihres Schützlings etwas anderes erwartet. Sie flüsterte hektisch in Mirandas Ohr.
»Noch nie zuvor ist mir so unprofessioneller Quatsch zu Ohren gekommen!« Martin Davis Exford, Träger des Nobelpreises in Molekularphysik, war vom langen Tisch der Kommission aufgesprungen. Seine gewaltige Stimme überschrie alle anderen. Dunkelblaue Adern traten an seinem Hals hervor. »Miss Sharifi, ich bedauere zutiefst die Art, wie Sie den Charakter dieses Forums pervertiert haben! Wir sind
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