Bettler 02 - Bettler und Sucher
Berufung der fünf mittelmäßigen Kommissionsmitglieder einverstanden erklärt? Beide Parteien mußten doch der Zusammensetzung der Kommission zustimmen!
Nein. Miranda Sharifi wollte diesen Fall verlieren. Sie wollte eine Entscheidung gegen den Zellreiniger erreichen.
Aber wahrscheinlich betrachtete ich das Ganze auch zu sehr von der menschlichen Seite aus. Miranda Sharifi und ich waren schließlich zwei von Grund auf verschiedene Wesen. Ihre Denkprozesse liefen völlig anders ab als die meinen – und damit möglicherweise auch ihre Motivationen. Vielleicht hatte sie sich die Kommission deshalb zum Feind gemacht, um… um was zu erreichen? Um sich den Erhalt des offiziellen grünen Lichts für das Patent zu erschweren? Vielleicht bedeutete ihr ein Sieg nur dann etwas, wenn er hart erkämpft war. Vielleicht gehörte es zum Ehrencodex der Schlaflosen, sich alles so schwer wie möglich zu machen – basierend auf dem Umstand, daß ihnen ohnedies alles so leichtfiel. Wie, zum Teufel, sollte ich es wissen?
All dieses vernunftmäßige Gegrübel führte schließlich dazu, daß ich meiner selbst überdrüssig wurde. Trotz der Hitze war es ein traumhaft schöner Tag in Washington, einer dieser Nachmittage aus wolkenlos blauem Himmel und goldenem Licht, den es aus irgendeiner begünstigteren Stadt herübergeblasen zu haben schien. Ich ging die Promenade entlang und erweckte Aufmerksamkeit: die verrückte Macherin, die sich anzog wie die primitivsten Nutzer. Drogenhändler, Liebespaare und Teenager auf Gravboards machten einen weiten Bogen um mich, was mir nur recht war. Ich absolvierte gerade eine dieser kurzen, scharfen Selbstbefragungen, die einen hinterher entnervt und peinlich berührt zurücklassen: Was wollte ich eigentlich wirklich in diesen schwachsinnigen Plastiksachen, die ich anhatte? Wollte ich irgendeine schwerwiegende persönliche Bedeutsamkeit in den Umstand hineininterpretieren, daß ich hinter Typen herlief, die mir eindeutig überlegen waren?
Denn die Schlaflosen waren mir überlegen, nicht nur, was Intelligenz betraf, sondern auch im Hinblick auf Disziplin und weitgestreute Einsichten und die neiderregende Gewißheit, die mit Zielstrebigkeit stets Hand in Hand geht – auch wenn ich nicht wußte, nach welchem Ziel sie strebten. Ich hingegen hatte nichts aufzuweisen als eine ziellose, abstrakte Besorgnis wegen der Richtung, in die mein Land ging. Eine Besorgnis, ausgelöst von einem halb-denkfähigen rosa Hund, der vom Balkon gesprungen war. Wenn ich jetzt darüber nachdachte, klang es dumm.
Ich hätte nicht einmal sagen können, welche Richtung mein Land meiner Meinung nach einschlagen sollte. Ich konnte nur hindernde Kraft sein, nicht treibende, und ich wußte nicht einmal genau, was ich verhindern wollte. Jedenfalls mehr als Fall 1892-A.
Ich hatte keine Ahnung, was die Schlaflosen beabsichtigten; das wußte niemand. Was machte mich also so verdammt sicher, daß ich sie davon abhalten sollte?
Anderseits hatte nichts, was ich bislang getan hatte oder in naher Zukunft tun würde, die mindesten Auswirkungen auf Miranda Sharifis Pläne. Ich hatte der AEGS nicht über sie berichtet, sie nicht unter dauernder Beobachtung gehabt, ja ich hatte mir nicht einmal in den intimsten, kaum je aufgesuchten Winkeln meiner Gedanken ein klares Urteil über sie gebildet. Ich war völlig irrelevant. Also brauchte ich nichts zu bedauern, brauchte mich nicht zu einem qualvollen Entschluß durchzuringen, ob ich etwas tun oder lassen sollte, brauchte nichts an meiner Vorgangsweise zu verändern. Null, womit man es auch immer multipliziert, bleibt stets Null.
Irgendwie wollte mich das alles auch nicht so recht aufheitern.
Die nächsten vier Tage waren eine herbe Enttäuschung. Menschen, die gespannt auf wissenschaftliche Dramatik warteten – ich selbst durchaus eingeschlossen –, erhielten statt dessen stundenlang unverständliche Diagramme, Tabellen, Formeln, Erklärungen und Holomodelle von Zellen und Enzymen und ähnlichem vorgesetzt. Viel Zeit wurde auch für die tertiäre und quaternäre Struktur der Proteine aufgewendet. Eine temperamentvolle und absolut nebulose Debatte erhob sich über die Anwendung von Worthingtons Transferenzgleichungen bei den redundanten Informationscodes der RNA. Da schlief ich dann ein. Ich war nicht allein; tagtäglich wurden die Anwesenden weniger, und von denen, die auftauchten, ließen nur die Wissenschafter gespannte Vorfreude erkennen.
Aber irgendwie war das nicht fair, fand
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