Bettler 02 - Bettler und Sucher
tatsächlich einen Satz. Anscheinend gab es doch noch Dinge außer meiner eigenen Person, für die ich Interesse aufbringen konnte.
Colin geleitete mich an einem hübschen Meditationsgarten vorbei hinaus auf ein offenes Stück Rasen. Wir gingen langsam, wie es sich für jemanden in meinem wie immer gearteten Zustand gehörte.
»Colin, mein Herzblatt, bin ich schwanger?«
»Du leidest am Gravison-Syndrom, diagnostiziert vor zwei Wochen an der John-C.-Frémont-Enklave für Medizin als Ursache für deine wiederholten Schwindelanfälle.«
»Die scheinen aber in meinen Krankenblättern nirgendwo auf.«
»Jetzt schon. Drei Anfälle in den letzten vier Monaten. Daraufhin eine falsche Diagnose, lautend auf Multiple Sklerose. Deine Gesundheitsprobleme sind einer der Gründe, weshalb David Madison dich verlassen hat.«
Unwillkürlich zuckte ich bei der Erwähnung von Davids Namen zusammen.
An manchen Orten drängen sich funkelnde Wolkenkratzer, die alle auf unsicherem, trügerisch instabilem Untergrund errichtet wurden. In Japan zum Beispiel. Und dann gibt es Orte wie den Garten Eden – warm, üppig, leuchtend in allen Farben –, wo nur Bitterkeit erwächst. Wessen Schuld ist das? Die der Bewohner des Gartens, klarerweise. Denn sie können sich wohl kaum auf eine triste Kindheit hinausreden.
Nichts ist bitterer, als zu wissen, daß man Eden hätte haben können, wenn man es nicht in Hiroshima verwandelt hätte. Ganz allein, nur mit Hilfe seiner beiden Ichs.
Colin und ich gingen noch ein wenig weiter. Die Luft unter der Kuppel war mild und windstill und duftete frisch. Colins Hand auf meinem Arm fühlte sich angenehm an. Stephanie hatte unrecht; er sah gut aus, auch wenn sein Äußeres nicht genmodifiziert war. Er hatte dichtes braunes Haar, hohe Bakkenknochen und einen kräftigen Körper. Zu schade, daß er so ein selbstgefälliger Pedant war. Diese andächtige Ehrfurcht vor dem eigenen Job – selbst wenn der Job es wert ist, getan zu werden – erstickt jede aufkeimende Erotik im Keim. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Colin seine nackten Geliebten nach Übertretungen der AEGS-Standards inspizierte. Und sie dann verpfiff.
Ich sagte: »Süßer, meinst du nicht, daß du die Sache ein wenig überstürzt? Wozu die Änderungen in meinen Krankenblättern? Ich habe noch nicht einmal gesagt, daß ich mitspielen will.«
»Wir brauchen dich, Diana. Du hättest mich zu keiner besseren Zeit kontaktieren können. Washington hat unsere Geldmittel wiederum gekürzt, um zehn Prozent seit…«
»Erspar mir die politischen Vorträge, Col. Wozu brauchst du mich?«
Er sah beleidigt drein. Ein dünkelhafter Besserwisser. Aber klarerweise hatte man seine Finanzen gekürzt – genauso wie die jedes anderen. Washington ist ein Zweiwegsystem: das Geld kann entweder hinausgehen oder hereinkommen. Momentan ging mehr hinaus als hereinkam. Viel mehr. Eine Nation von Nutzern zu erhalten war kostspielig, jetzt, da die USA nicht mehr über das Weltpatent für die billige Y-Energie verfügten, die das überhaupt erst ermöglicht hatte. Dazu kam, daß die industriellen Maschinenparks, die man die längste Zeit nur mangelhaft gewartet hatte, in immer schnellerem Tempo zu Bruch gingen. Selbst Stephanie mit all ihrem Geld hatte sich schon beklagt. Zweifellos bekam es der öffentliche Sektor noch stärker zu spüren. Und die Finanzierung öffentlicher Subventionen durch den Zugriff auf spätere Budgetmittel war seit fast einem Jahrhundert nicht mehr erlaubt. Dachte Colin denn, daß ich das nicht alles wüßte?
»Ich wollte dir keinen Vortrag halten«, erklärte er steif. »Ich brauche dich für einen Überwachungsjob. Du bist geschult, du bist sauber, niemand wird deine Schritte elektronisch verfolgen. Und wenn wirklich jemand auf dich aufmerksam wird, ist dein Gravison-Syndrom die beste Tarnung.«
Das stimmte soweit. Ich war ›geschult‹, weil ich fünfzehn Jahre zuvor an einem offiziell nicht stattgefundenen Schulungsprogramm teilgenommen hatte, das so geheim gewesen war, daß die fertigen Agenten hinterher nie eingesetzt wurden. Zumindest ich wurde nie eingesetzt, wobei jedoch zu berücksichtigen wäre, daß ich vor dem Abschluß der Ausbildung ausstieg. Claude war in mein Leben getreten. Möglicherweise handelte es sich aber auch um jemand anderen. Auch Colin Kowalski hatte das Schulungsprogramm absolviert, was den Startschuß für seine Beamtenkarriere bedeutete. Ich war sauber, weil nicht das Geringste über das Programm in
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