Bettler 03 - Bettlers Ritt
ausgesehen – eine böse, schöne Riesin –, und jetzt, unter der enthüllenden Einwirkung des Sonnenscheins, konnte Jackson sich eingestehen, was er zuvor geleugnet hätte: er hatte sie begehrt. Obwohl sie nicht wirklich böse war, nur habgierig. Nicht wirklich schön, nur auffällig. Und um kein Jota mehr eine Riesin als das Miniaturholo der sinkenden Pequod neben den toten Goldfischen im Wasserbecken des Atriums.
Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl herum und nahm noch einen Schluck.
»Es ist böse, die Existenz des Verstandes zu leugnen«, sagte Theresa, »ganz zu schweigen von der Seele.«
»Tessie…«
Sie beugte sich vor, ihr Gesicht ein bleicher, substanzloser Klecks in der Dämmerung, ihre Stimme den Tränen nahe. »Es ist böse, Jackson. Wir sind nicht nur eine Ansammlung von Sensoren und Chips und Drähten, wie Robs. Wir sind Menschen, wir alle!«
»Beruhige dich, Kleines. Es ist doch nur ein Satz, der vor langer Zeit niedergeschrieben wurde! Verstaubte Daten in einer alten Datei.«
»Dann glauben die Menschen nicht mehr, daß der Satz wahr ist? Die Ärzte auch nicht?«
Natürlich glaubten sie es. Und nur Theresa konnte sich so aufregen über ein fünfundsiebzig Jahre altes Klischee, das auf anderen Klischees basierte, die zweihundert Jahre alt waren.
»Tessie, Liebes…«
»Wir haben Seelen, Jackson!«
Eine andere Stimme: »Lieber Himmel, doch nicht schon wieder dieses Gebabbel über unsere unsterblichen Seelen!«
Spöttisch lächelnd trat sie ein und erfüllte den gewaltigen Raum mit ihrer noch gewaltigeren, einssechzig großen, durch und durch lebenssprühenden Präsenz. Cazie Sanders, seine Ex-Frau. Die sich weigerte, aus seinem Leben zu treten, weil die von ihr gewollte Scheidung für sie nur eines jener zahlreichen Dinge war, die sie ignorierte, sobald sie sie bekommen hatte. Unter dem Vorwand, daß sie ja weiterhin Theresas Freundin war, ging sie bei den Aranows aus und ein, wie es ihr gefiel, nahm die Aranows in Besitz oder ließ sie fallen, wie es ihr gefiel – und gefiel sich immerzu selbst.
Sie war in Begleitung zweier Männer, die Jackson nicht kannte – war einer von ihnen ihr aktueller Liebhaber? Beide? Ein Blick auf den älteren der beiden, und Jackson wußte, daß er etwas Stärkeres als Sonnenschein oder Endorkiss intus hatte. Schlank, hochgewachsen und unmuskulös, wie er war, hatte er den gewollt androgynen Körper eines Vid-Stars; seine rauhe braune Baumwolltunika, die aussah wie ein Kissenüberzug, war von den winzigen, zur Nahrungsaufnahme bestimmten Röhrchen in seiner Haut bereits löchrig gefressen. Der Jüngere, dessen GenMod-Perfektion Jackson unangenehm an Ellie Lesters Holo-Sklaven erinnerte, trug einen undurchsichtigen Holo-Anzug, der so aussah, als bestünde er aus Tausenden wildgewordenen, krabbelnden Bienen. Er hatte die Mundwinkel zu einem permanenten maliziösen Grinsen herabgezogen. Würde Cazie tatsächlich mit einer dieser beiden Pestbeulen schlafen? Jackson konnte es nicht sagen.
Es war schwer zu erklären, weshalb er Cazie geheiratet hatte, aber nicht sehr schwer. Sie war schön mit ihren kurzen dunklen Locken, der honigfarbenen Haut und den mandelförmigen goldenen Augen mit den grünen Sprenkeln darin. Aber so gesehen waren alle GenMod-Frauen schön. Ganz gewiß war Cazie nicht von einer solchen Lieblichkeit und Sanftmut und Redlichkeit wie Theresa – die neben ihrer Ex-Schwägerin dennoch verblaßte. Schwach flackerte und sich beinahe verflüchtigte wie ein schlechtes Holo.
In Cazie brannte eine – nicht GenMod-fabrizierte – geheimnisvoll dunkle Vitalkraft, so ursprünglich und erotisch wie stürmischer Regen. Bei jeder ihrer Berührungen – erregt, träge oder zärtlich, bei Cazie wußte man das nie – hatte er gespürt, wie etwas metallisch Kaltes in seinem Innern zerfloß – etwas, das er gar nicht in sich vermutet hatte. Er hatte sich namenlosen, übermächtigen, sehr alten Sehnsüchten verbunden gefühlt. Manchmal beim Sex mit Cazie, wenn ihre Nägel über seinen Rücken kratzten und sein Penis blind in ihr wühlte wie ein heißes, lebendig gewordenes Projektil, hatte er sich verblüfft schluchzen, schreien oder ihren Namen rufen hören. In diesem Moment war er ein völlig anderer Mensch gewesen, was ihm peinlich war, wenn er hinterher daran dachte. Cazie war nie etwas peinlich. Gar nichts. Nach zwei Jahren Ehe hatte sie die Scheidung beantragt, weil Jackson ihr ›zu passiv‹ sei.
In den gräßlichen Wochen ihres Auszugs aus
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