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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Freude über das Geld schwand, als Vatanescu begriff, dass seine Tat unter Umständen das Dümmste war, was sich ein Zweibeiner je geleistet hatte. Gut möglich, dass er dafür Zinsen zahlen musste, die weit über dem Marktwert lagen. Seine Tat brauchte sich nur herumzusprechen, eine Handyverbindung in die Heimat genügte, und die dortigen Handlanger von Jegor wüssten über den Alleingang des Bettlers Bescheid.
    Vor der weißen Konzerthalle setzte sich Vatanescu auf eine Bank am Wasser. Während auf der anderen Seite der Bucht ein Güterzug vorbeirumpelte, versuchte Vatanescu, sich in der eigenen Achselhöhle einzurollen und die Kälte zu vergessen. Die ständige Müdigkeit setzte sich gegen das Adrenalin und die Kälte durch, aber wir lassen Vatanescu jetzt nicht einschlafen.
    Es raschelte im Gebüsch.
    Etwas regte sich.
    Vatanescu fragte sich, ob es in diesem Land Schlangen gab.
    Dann hörte er aus südlicher Richtung Gebrüll, das zu einem einheitlichen Schrei anwuchs, der sich im Laufschritt näherte; eine Gruppe junger Männer warf mit Steinen und schwang Knüppel. Vatanescu war erstaunt, dass Jegor ihm jetzt schon einen Schlägertrupp aus Ureinwohnern auf den Hals hetzte.
    Schlagt mir nicht auf die Knie!
    Foltert mich nicht! Bringt mich nicht um!
    Aber die jungen Leute rannten an ihm vorbei und schlugen sich in die Büsche.
    Während der Trupp der Gewalttäter das Gesträuch durchforstete, schoss zwischen ihren Beinen ein Tier heraus und lief direkt auf Vatanescu zu. Er schnappte es mit beiden Händen und versteckte es unter der Jacke.
    Was immer du bist, du bist kleiner als dieser Trupp Menschentiere.
    Im Gebüsch hoben sich die Köpfe der jungen Leute, sie bemerkten Vatanescu und fragten ihn, ob ihm zufällig ein widerlicher Nager aufgefallen sei. Ein Schädling, der die Stadt gefährdete und in den Gärten die Wurzeln der Apfelbäume annagte, der im Zickzack durch den Straßenverkehr rannte und vergebliche Besuche bei Versicherungsgesellschaften verursachte. Sie bekamen für jedes City-Kaninchen fünf Euro; der Zoo kaufte sie ihnen ab, als Futter für die Tiger.
    Vatanescu spürte den Herzschlag des kleinen Tieres an seinem eigenen Herzen und nickte.
    Ich habe ihn gesehen. Er ist dorthin gelaufen. In Richtung Bahnhof.
    Beeilt euch.
    Schnell, schnell, sonst entwischt er noch.
    Als die lynchlustige Truppe verschwunden war, schaute Vatanescu den Hasen an, der im Schutz der Jacke die Ohren anlegte. Sein kläglicher, müder Blick bettelte um Gnade.
    Hab keine Angst, ich bin Vatanescu.
    Einer wie du.
    Tigerfutter.
    Er wusch das unterernährte Tier mit Meerwasser und bemerkte einen Splitter in der Pfote. Als er ihn herauszog, quiekte das Häschen fürchterlich, und die Wunde blutete noch stärker. In Vatanescus Sippe gab es Wahrsager und Zeichendeuter, aber sein eigenes Weltbild war so wissenschaftlich, wie es bei einem Autodidakten nur sein konnte, trotzdem und deswegen sah er in dem Kaninchen, das ihm aus dem Nichts in die Arme gehoppelt war, ein allzu deutliches Zeichen, um es als bloßen Zufall abzutun.
    Ich muss dich retten. Dann werde ich selbst gerettet.
    Ich habe hier niemanden. Auf der ganzen Welt habe ich nur meinen Sohn Miklos. Wir werden uns gegenseitig helfen, dann werden wir überleben. Mit dir fangen wir an.
    Also machte sich Vatanescu mit dem Kaninchen in der Tasche auf den Weg. Ein rotes Kreuz auf einem Schild wies ihm den Weg zur nächsten Ambulanz.
    Über dem Klinikeingang stand der Name von Miklos’ Mutter, Vatanescus ehemaliger Frau.

Im Marienkrankenhaus öffnete sich die elektrische Schiebetür zur Notaufnahme in gleichmäßigen Intervallen. Hinter dem Aufnahmeschalter saß Hertta Mäntylä, eine Person mit ausgeprägter Empfindung, gelobt für ihre Empasympathie, die bei Trauer, Schmerz und Ungewissheit wortlos Beistand leisten konnte, ohne dass es ihr peinlich war. Im Laufe der Nacht hatte sie Valdemar Kiminkinen aufgenommen, 05 . 06 . 1964 , der sich infolge seines betrunkenen Zustands den Kopf auf dem Straßenpflaster aufgeschlagen hatte. Es konnte auch sein, dass Kiminkinen Streit mit seiner Lebensgefährtin gehabt hatte, deren Name ihm auf Anhieb nicht eingefallen war. Stattdessen erinnerte er sich an einen Wettlauf in den sechziger Jahren im Sportpark von Turku und daran, dass sein ganzes Leben falsch gelaufen war. Er wirkte zwar nicht verbittert, sagte aber trotzdem immer wieder, er wolle noch einmal ganz von vorn anfangen.
    Hertta half ihm auf die Liege und empfahl Abstinenz. Dann

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