Bettler und Hase. Roman
Russland außerhalb der Landesgrenzen zu blamieren. Ich vegetierte also in dem Syphilis- und Tripperzentrum hinterm Wolga-Knie vor mich hin. Nicht beneidenswert, ziemlich darminhaltsmäßig. Jeden Tag hatte ich beim Aufwachen das Gefühl, bei den Dreharbeiten für ›Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch‹ zu sein, aber nicht als die verrückte Hauptfigur, sondern als Statist, den sie für einen Drehtag von der Straße geholt und dann in einem richtigen Lager vergessen haben.
Eines Tages bekam ich einen Brief.
Normal kriegt unsereiner keine Briefe. Ich dachte, der muss von meiner Mutter kommen; womöglich ist ihr das Geld ausgegangen, oder sie braucht einen Vorschuss für ihre Beerdigung.
War aber nicht von Mama, sondern von Vatanescu.
In dem Umschlag steckte so eine Art Autogrammkarte oder so ähnlich. Bisschen kitschig, das Bild, Vatanescu im schwarzen Anzug, eingereiht zwischen lauter alten Kerlen und mit Kaninchen. Ziemlich grausamer Scherz, dachte ich zuerst, der will das Messer in meiner Wunde rumdrehen, aber es war dann ein richtiger Brief dabei.
Vatanescu schrieb, er wisse von meinem Memoirenprojekt, und versprach, einen Verlag für mich zu finden, vielleicht Johnny Kniga, vielleicht Bonniers, vielleicht auch gleich einen auf dem amerikanischen Markt.
Whaaaat???!!!
Ich muss zugeben, dass mich das schon ein bisschen heißgemacht hat, aber das war erst der Anfang. Als Nächstes meinte Vatanescu, er würde über meine Befreiung verhandeln. Angeblich war er bei der UNO , bei Greenpeace, bei Amnesty und in der US -Außenpolitik so stark im Bewusstsein präsent, dass es für ihn leicht war, einen wie mich rauszuhauen. Der Umschlag enthielt schon mal eine Reisebeschreibung, und da hieß es, als Erstes würden sie mir einen Hubschrauberflug nach Sankt Petersburg anbieten. Dort bekäme ich dann saubere Kleider, einen sauberen Pass und eine Zugfahrkarte.
Whaaaaaaaaaaaaaat???!!!«
Und so machte sich Jegor auf den Weg über Sankt Petersburg zurück nach Finnland, zu seinem ersten richtigen Arbeitsplatz. Er bekam eine Steuerkarte, einen Taxischein und einen Personalausweis, denn für ihn war eine wesentliche Rolle in Vatanescus erster Regierung vorgesehen.
»Ich kenne den Volkscharakter und die Sitten auf beiden Seiten wirklich gut, ich beherrsche Sprache und Etikette. Darum sagte ich, wie der Mann von Del Monte: Yes! Ich war wirklich bereit, als Experte für Ostbeziehungen anzufangen.«
Der Millionen-Mercedes chauffierte unseren vom honigmarinierten Hühnchen satten Helden in die an Steinen reiche Innenstadt von Helsinki. Von nun an würde Chefkoch Ming Po die Mahlzeiten für Vatanescu zubereiten, aus den besten Zutaten des Landes und unter grenzenloser Kombination aller Wunder und Besonderheiten der sieben Küchen dieser Welt. Würde Ming eine Marinade herstellen, dann würde er dafür nur den besten Biohonig aus Mäntsälä nehmen, dazu Sojasoße aus Okinawa und Ahornsirup aus Kanada.
Esko Sirpale fuhr den Wagen, Jeesus Mähönen war sein Beifahrer, hinten saßen Vatanescu, Miklos und Pahvi. Das Kaninchen suchte sich einen passenden Schoß und landete bei Miklos, um sich von ihm kraulen zu lassen.
Simo Pahvi zirkelte mit dem Zimmermannsbleistift auf einer Zigarettenschachtel Kreise und schmunzelte. Er würde in die Geschichte des Populismus eingehen; hier und jetzt wendete das ganze Schiff, jetzt wurde die Nordostpassage eröffnet. Was hier passierte, war keine Gesinnungslumperei, sondern eine Neugeburt. Man würde sich an Simo Pahvi als einen Parteiführer erinnern, der anstelle der Engstirnigkeit, des Hinterwäldlertums und des rassistischen Populismus Vatanescu gewählt hatte. Ohne dabei irgendetwas von der Grundidee der Partei der Gewöhnlichen Leute aufzugeben, denn Vatanescu war noch gewöhnlicher als gewöhnlich. Vom kleinen Finnland aus hatte der Begriff des positiven Populismus mittlerweile in der ganzen Welt Verbreitung gefunden, und ständig wurden neue Segmente dazuerobert. Der italienische Ministerpräsident war an dem Format interessiert, ebenso mehrere Parteien in Belgien, Frankreich und Holland. Aus den Vereinigten Staaten waren Faxe von den Demokraten wie von den Republikanern eingetroffen. Und in Finnland war die Anhängerschaft der Partei über die Träger raschelnder Windjacken hinausgewachsen und umfasste inzwischen sogar Leute, die Sojawürstchen aßen. Mit Vatanescus Hilfe hatte Simo Pahvi für seine eigene Zukunft, aber auch für die Zukunft der Partei Vorsorge getroffen und
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