Bettler und Hase. Roman
zerbreche, man könne seine Verzweiflung bis auf den Rasen spüren.
So viel Neues. So viel zu lernen.
»Kein Mensch eignet sich im Nu die ganze Politik an.«
Nein, ich meine das hier. Die Gebrauchsanweisung für den Grill.
Simo Pahvi hatte Vatanescu zum Einzug einen riesigen Gasgrill und Miklos ein Trampolin geschenkt.
»Und sonst? Mein Sohn, wie steht es um dein Leben? Um das Innere? Ums Herz?«
Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod.
Ich habe Leben um mich herum.
Aber die Zauberfrau hat sich nicht bei mir gemeldet. Traut sie sich nicht?
Vielleicht rufe ich sie an. Irgendwann werde ich Zeit für die Liebe haben. Auch wenn Pahvi findet, die Politik geht vor.
Zu Pahvis Geschenkset gehörten neben Grill und Trampolin ein Van, eine Espressomaschine und ein Heckenschneider. Man müsse die Bräuche der Wählerschaft kennen, man müsse wissen, was sie tat und wollte, hatte er gesagt. Man müsse in der Lage sein, ihre Sprache zu sprechen. Wenn die Partei der Gewöhnlichen Menschen ihre Wählerschaft bis in die obere Mittelschicht ausdehnen wolle, dann müsse sie den Kern der Zielgruppe ausfindig machen. Darum müsse Vatanescu noch an diesem Abend einen Eimer voll honigmarinierter Hühnerfilets grillen.
Mit knackenden Knien erklomm Simo Pahvi die Terrasse. Er zog sein Hemd aus, wischte sich damit über Nacken, Kopf und die Speckfalten am Bauch. Dann warf er sich das Hemd über die Schulter und trat zu Vatanescu.
»Probleme? Nervös wegen heute Abend?«
Wie dreht man das Gas auf?
»Da gibt’s solche Schalterknopfdinger, guck, da muss man drehen, und dann geht’s auf.«
Simo Pahvi betätigte diverse Schalter und hielt kurz die Handfläche über die Bratfläche. Dann spuckte er darauf, und als die Spucke anfing zu brodeln, bat er Vatanescu, die Packungen mit den honigmarinierten Hühnerfilets aufzumachen.
»Ich kann die ersten schon mal drauflegen.«
Vatanescu setzte sich auf die Bank der Gartenmöbelgarnitur neben seine Mutter. Sie nahm seine Hand und schaute mit ihm zu, wie Miklos durch den Garten rannte und das Kaninchen um ihn herumhüpfte. Der Junge und das Kaninchen spielten sich den Ball zu, zwischendurch schoss Miklos ihn gegen einen Baum, eine Hauswand oder auf seine Mutter, die mittlerweile in der Hängematte schaukelte. Für das Kaninchen hatte man am Waldrand eine Behausung gezimmert und daneben ein kleines Karottenbeet angelegt.
Der Junge hat sie bekommen.
Die Stollenschuhe.
»So wird das gemacht«, sagte Pahvi am Grill. »Leg nie zu viele Lappen auf einmal drauf, damit du Platz zum Umdrehen hast und die Temperatur auf der Platte nicht sinkt. Sobald Flüssigkeit austritt, musst du wenden! Aber Huhn kann man im Prinzip umdrehen, wann man will, da kommt es nicht so drauf an. Ein bisschen wie bei Politikern. Es gibt Leute, die haben’s gern saftiger, andere lieber trocken. Für Frauen gilt das Gleiche!«
Pahvi brach in sein ansteckendes, schwabbelndes Gelächter aus, wodurch das Bauchfleisch in Bewegung geriet und die ganze Terrasse bebte.
»Am besten, wir essen vom Pappteller, da hat die Hausherrin nicht so viel zu spülen. Wie heißt es so schön? Nimm Pappe, dann tust du dich leichter!«
Mir ist etwas geglückt, Mama. Endlich einmal.
»Dir glückt alles, was du anfängst«, sagte Mutter Vatanescu.
Vorher ist mir nie etwas geglückt.
»Von jetzt an immer. Glaub mir. Ich glaube an dich. Denn ich habe dich auf die Welt gebracht.«
Hinter Sümpfen , Nadelwäldern, Permafrost und einstürzenden Katen beherbergte Mütterchen Russland eine Strafanstalt, wo Jegor Kugar in einer Zelle hauste. Er hatte keine Schreibmaschine mehr, schrieb jedoch hartnäckig mit einem Bleistiftstummel an seiner Geschichte weiter, auf den Rändern des Gesangbuchs und auf jedem anderen Stück Papier, das er in die Hände bekam. Was er geschrieben hatte, bewahrte er in einer kleinen Tube auf, wie man sie aus dem Film »Papillon« kennt und die er dort versteckte, wo auch die UV -Strahlen im Solarium nicht hinkommen.
Aber am besten erzählt das Jegor Kugar selbst, so wie er es in seinem Buch »Des Halunken harte Hülle« schreibt, mit dem ihm später ein Welterfolg gelingen wird:
»Ich war nix anderes als ein politischer Gefangener. Darüber hatte ich auch mit Chodorkowsksi geredet, deshalb kann ich sagen, dass man mich nicht verurteilt hatte, weil ich mit dem Messer auf Vatanescu losgegangen war, sondern weil ich dem Zaren einen Kratzer am Image verpasst hatte. Der besitzt nämlich das alleinige Recht darauf,
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