Bettler und Hase. Roman
gesellschaftliche Entwicklung galt das Gleiche, und zwar in dieser Reihenfolge der Entwicklung: Lagerfeuer – Rauchküche – Kachelofen – Ölbrenner. Und jetzt war die Fußbodenheizung an der Reihe, kombiniert mit Wärmepumpe und Holzpellet-Feuerungsanlage, ebenfalls im Haus von Vatanescu vorhanden. Aber seine Mutter blieb bei ihrer Sicht der Dinge. Sie hatte lieber bloße Erde unter den Füßen.
Vatanescu löste das Wohnungsproblem seiner Mutter, indem er ihr Tudos Komars Kate kaufte. Diese wurde in ihrem Heimatdorf Balken für Balken abgebaut, in die Eigenheimsiedlung nach Nurmijärvi transportiert und an einer schattigen Stelle unter drei hohen Kiefern in der Südwestecke des Grundstücks von Jeffersson und Öunap wieder aufgebaut; die Hämmer tönten, die nummerierten Balken schnappten ein, nur die angefaulten wurden ausgetauscht. Tudos Komar hatte im Gegenzug von Botschaft und Handelsdelegation ein Doppelhaus bekommen. In die eine Hälfte war Tudos selbst eingezogen, in die andere sämtliche Geister, die er kannte. Zur Einweihung des Gebäudes durch die Botschaft hatte es Tudos’ Pflaumenschnaps und ein paar ganze Schweine gegeben.
Aber die Kate allein war Vatanescus Mutter nicht genug. Sie sollte auch den Geruch von Tudos und dessen ruhelose Geister enthalten.
Vatanescus Mutter machte auf dem Absatz kehrt. Die Sonne blendete, obwohl sie die Luft nicht so wärmte wie daheim. In diesem Land war einem ständig kalt und heiß zugleich.
Auf der Eingangstreppe des Gästehauses erblickte sie Maria, die ehemalige Frau ihres Sohnes, die sich ganz und gar nicht an der Fußbodenheizung störte. Zum Glück, denn nur so war es möglich, das geteilte Sorgerecht in die Tat umzusetzen. Miklos wohnte immer eine Woche bei seinem Vater im Haupthaus oder begleitete ihn auf seinen Dienstreisen, und danach eine Woche bei seiner Mutter im Gästehaus.
Maria grüßte Mutter Vatanescu, die jedoch nur knurrte und dreimal über die linke Schulter spuckte, dann dreimal über die rechte, dann gerade vor sich und dazu dreimal mit dem Finger schnippte. Man könnte sagen, dass die einstige Schwiegermutter ein wenig auf Distanz ging, denn sie belegte ihre einstige Schwiegertochter mit einem Fluch. Maria zuckte jedoch bloß mit den Schultern, setzte die Sonnenbrille auf und ging zur Schaukel.
Mutter Vatanescu drehte sich erneut um, in dem Versuch, die richtige Windrichtung zu finden. Dabei fiel ihr Blick auf das Haus ihres Sohnes, ein Fertighaus von dreihundert Quadratmetern mit geraden Wänden. Ihrer Meinung nach enthielt das Haus zwar allen Komfort dieser Welt, aber es fehlten ihm Charakter und Geschichte. Doch es war nun einmal so, dass jede Generation ihre eigenen Wünsche und Gebräuche hatte und dass die vorige Generation sich darüber wunderte. Vatanescu blieb ihr Sohn, auch wenn die Welt sich noch so wandelte, er behielt seine Locken auf dem Kopf und in der Erinnerung seiner Mutter das Lachen und Weinen des kleinen Jungen.
Auf ihren Stock gestützt, machte sie ein paar kleine Schritte. Der Stock war nicht mehr aus knotigem Holz geschnitzt wie in der Heimat, stattdessen stand »Zentrales öffentliches Gesundheitszentrum« darauf, und bei Bedarf bekam man dafür eine schöne Metallspitze. Auch ein Rollator war Vatanescus Mutter angeboten worden, ebenso ein Lieferservice für das Essen, doch damit konnte man bei ihr nicht landen. Mutter Vatanescu hatte Zuflucht bei ihrem Spuckritual gesucht, um sich der Situation zu entziehen.
Jetzt kam Miklos, einen Fußball dribbelnd, um die Ecke gerannt, in einem neuen Hemd und mit glänzenden Schuhen. Der Ball schien ein Teil des Jungen zu sein wie die Hand oder der Kopf. So war der Kleine schon immer gewesen, ein echter Abstauber, wie man in Vatanescus Sippe die flinken Kerle nannte. Seine Spezialität war die sogenannte Luftrolle, bei der er den Ball aus vollem Lauf auf den Spann nahm und danach zu seinem Salto abhob, dessen Bewegungsenergie das Leder in beängstigender Geschwindigkeit in den Torwinkel jagte.
Miklos schob den Ball zwischen den Beinen seiner Großmutter hindurch und schoss ihn dann weit in Richtung Seeufer. Simo Pahvi rannte keuchend hinterher, die Hemdsärmel aufgekrempelt, die Brille beschlagen. Er grüßte Mutter Vatanescu, die kaum merklich zurücknickte. Sie fand, dass Simo Pahvi eine verdächtige Warze am Hals hatte und außerdem zu sehr an ein Walross erinnerte.
Sie stieg die Treppe zur Terrasse hinauf.
Dort fragte sie ihren Sohn, worüber er sich den Kopf
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