Bettler und Hase. Roman
einen Wert?
Am Posieren für die Fotografen, an Staatsbesuchen oder hübsch gedeckten Tischen hatte das Kaninchen keine Freude. Es hüpfte stets über die langen Tafeln ins Hinterzimmer, um sich dort zu verstecken, wenn Präsidenten, Monarchen und Diktatoren es streicheln oder tätscheln wollten. Es floh in die dunkelste Ecke, wenn Kämpfer für die Befreiung der Tiere es zu befreien versuchten. Sein Puls beschleunigte sich, es schlief schlecht, es legte die Ohren an, und das Essen schmeckte ihm nicht. Als man für eine Frauenzeitschrift rührselige Fotos vom Kaninchen zusammen mit Anneli Vatanescu-Pommakka machen wollte, verschwand es tagelang und fand sich schließlich vollkommen ausgetrocknet in einem Belüftungsschacht.
Vor allem gefielen dem Kaninchen Vatanescus neue Verpflichtungen als Vater, Politiker und Mitglied der Zivilisation nicht. Unter normalen Umständen wird das Kaninchen in der menschlichen Bedürfnishierarchie zum Haustier – dann wird es zwar geknuddelt, ist aber nicht mehr Bruder, Kamerad oder Reisegefährte.
»Das Tier kann nicht das Leben eines Menschen führen«, sagte Vatanescus Mutter. »Es fühlt sich in der vornehmen Umgebung genauso unwohl wie ich.«
»Das Kaninchen geben wir nicht her«, sagte wiederum Simo Pahvi. »Die Hälfte von jeder Stimme, die du bekommst, geht auf das Konto des Kaninchens. Wir können es uns nicht leisten, darauf zu verzichten!«
Es wird die nächste Auslandsreise nicht überstehen.
»Dann holen wir uns den ein oder anderen Stuntman! Wer merkt das schon?«
Ich tausche meine Kinder ja auch nicht einfach aus, wenn sie mit etwas Neuem fremdeln.
Aber das Schlimmste kam erst noch. Bei der Vorsorgeuntersuchung wurde festgestellt, dass die sechs Monate alte Anneli Vatanescu-Pommakka eine Milch- und Tierallergie hatte. Sofort war klar, woher Ausschlag, Atemnot und Augenrötung kamen. Anneli wurde in eine Welt hineingeboren, in der Fell zum Schmutz gehörte, im Gegensatz zu ihrem Bruder Miklos, dessen Körper an Tierhaare, menschliche Hinterlassenschaften und Feuchtigkeitsschäden gewöhnt war.
»Wir können es nicht behalten«, sagte Sanna. »Das weißt du. Es geht einfach nicht.«
Das stimmt.
Es ist unmöglich.
Sieben Tage und Nächte lang sagte Vatanescu kein einziges Wort.
»Sprich mit mir!«, sagte Sanna Pommakka. »Behalte nicht alles für dich, ich bitte dich darum, Liebster! Du bist irgendwie … schon ein … praktisch so was wie ein … na ja, finnischer Mann geworden.«
Ich kann mich nicht pausenlos abrackern, auf der Welt passiert auch so genug.
Ich rede nicht gern.
Ich räume gern in der Garage rum. Trinke ein Bier und noch ein Bier, und vielleicht ruft Pykström an, der gerade das Gleiche tut. Dann nehm ich ein, zwei weitere Prösterchen.
Und wenn ich mir noch so den Kopf über das Kaninchen zerbreche, es ändert gar nichts.
Möge dem Kaninchen widerfahren, was dem Kaninchen widerfahren soll. So ist es mir auch gegangen.
Bald zeigte auch das Kaninchen erste Symptome. Es schnaubte, seine Augen waren blutunterlaufen, und es fühlte sich in Räumen nicht mehr wohl. Vatanescu brachte es zum Tierarzt, der schnell eine Diagnose stellte. Das Tier war allergisch gegen Menschen im Babyalter, und seine Atemorgane ertrugen weder Klimaanlagen noch Interkontinentalflüge. Außerdem hatte es eindeutig zu wenig Bewegung und zu wenig Schlaf.
»Wir haben es hier mit einem psychosomatischen Syndrom zu tun«, sagte der Arzt. »Würde es sich um einen Menschen handeln, würde ich ihm eine Cipramil-Kur verschreiben. Da es sich um ein Tier handelt, verschreibe ich nichts. Ich empfehle, eine natürliche Lösung zu finden.«
Verwirrter, als er hingegangen war, kehrte Vatanescu vom Arzt zurück. Er war ratlos und fühlte sich wie in einer Sackgasse.
Ich habe ein Zuhause gefunden und Menschen um mich herum. Jeden Abend lege ich mich in mein eigenes Bett in meinem eigenen Haus, weil der Mensch ein Haus haben soll, das er verlässt und in das er zurückkehrt. Man geht nur zwischendurch fort, um etwas zu holen:
Geld vom Arbeitgeber, Essen aus dem Supermarkt, die Kinder vom Kindergarten, die Zeitung aus dem Briefkasten, die Beeren vom Strauch, die Fische aus dem See, die Versicherung von der Versicherungsgesellschaft, das Darlehen von der Bank, die Frau zum Tanz, Heilung im Krankenhaus.
Dann nach Hause.
Zur Familie.
Was die wert ist, begreift man erst, wenn man eine hat.
Vatanescu streichelte das Kaninchen.
Er merkte, wie seine Hand und sein Kinn
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