Betty kann alles
von ihnen im allgemeinen auch böse mit mir oder Mary.
Mary und ich fochten manche heftigen Kämpfe miteinander aus, und zuzeiten versetzten wir uns auch Hiebe, aber der Kriegszustand dauerte nie lange, und wenn wir von der Mittagspause zurückkamen – längst wieder ein Herz und eine Seele – fanden wir oft den Verbindungsmann und den Buchhalter grimmig verfehdet und nur darauf wartend, bei einer von uns auf die andere zu schimpfen.
Sie glaubten, wir meinten es ernst, wenn ich zum Beispiel Mary anschrie: «Kein Wunder, daß du mit deinen fünfundzwanzig Jahren eine alte Jungfer geworden bist. Du denkst, du kannst alle Leute kommandieren», worauf es von Mary zurücktönte: «Besser, mit fünfundzwanzig Jahren eine alte Jungfer zu sein, als in dem Alter schon Scheidungsurkunden zu haben, die man mischen kann wie Spielkarten.» Oder: «Du hast keinen Finger gerührt in diesem Büro, seit ich hier bin. Alles, was du tust, ist rauchen wie ein Schlot und mich wie eine Sklavin herumzuhetzen.» «Ich werde dich weiter wie eine Sklavin herumhetzen, solange du dich benimmst wie eine Sklavin, denkst wie ein Sklavin und riechst wie eine Sklavin.»
Im Herbst 1932 stand es wirtschaftlich allgemein sehr schlimm, und wir sahen voraus, daß die Holzexporteure nicht mehr lange der Dienste des Mr. Chalmers bedürfen würden. Die bedrückten Mienen der Leute auf der Straße fielen mir auf, und immer häufiger blieb mein Blick auf Schildchen haften: «Büro zu vermieten», die wie die weißen Kreuze auf einem Schlachtfeld aus der Erde schossen. Alltäglich stand ich mit dem bangen Gefühl auf, bald selbst von der grauen Maske der Arbeitslosigkeit angestarrt zu werden.
Mary zeigte sich so unbekümmert um die schlechte Lage der Dinge, daß sie sich ungeniert zwei Stunden Zeit für ihr Mittagessen ließ, und ein bis zweimal täglich auf längere Zeit zum Kaffeetrinken verschwand. Als Mr. Chalmers sie zur Rede stellte, gab sie ihm zu verstehen, daß die Tätigkeit bei ihm nicht mehr interessant für sie sei und sie sich entschlossen habe, ihre Kräfte dem Reklamewesen zu widmen.
Für mich folgten schreckliche Wochen, während denen ich Mr. Chalmers' stundenlange Diktate aufnehmen mußte. Er schwelgte in sonderbaren Ausdrücken und zusammengekoppelten Begriffen, so daß ich nie lesen konnte, was ich gekritzelt hatte, und meinen Stenogrammblock des Abends heimnahm, wo Mary dann die Briefe schrieb. Sie war immer bereit, mir zu helfen, aber auf die Dauer wurde es ihr wohl zuviel, zwei Stellungen auszufüllen, und sie riet mir, Mr. Chalmers seinem Schicksal zu überlassen und es auch mit dem Reklamewesen zu versuchen. Mit großem Takt gab sie mir zu verstehen, daß rothaarige Leute zu gut für eintönige Büroarbeiten seien, und da ich mich mit dem Stenographieren sowieso quäle, wäre es doch empfehlenswert, eines meiner zahlreichen anderen Talente ins Treffen zu führen.
Aber ich fand, daß ich Mr. Chalmers nicht im Stich lassen könne, wo er doch für meine Abendschule zahlte, und so harrte ich denn bei ihm aus bis zum Ende, obwohl er mir immer wieder erläuterte, daß die Wirtschaftskrise meine Schuld sei, denn sie würde herbeigeführt durch minderwertige Leute gleich mir, die Seidenstrümpfe trugen und sich ebensogut vorkamen wie Leute gleich ihm.
Eines Tages kam mein Bruder Cleve mich zum Mittagessen abholen und hörte zufällig gerade den Schluß eines der weisen Vorträge Mr. Chalmers'. «Die einzige Möglichkeit, die Armen loszuwerden, ist, sie an die Wand zu stellen und abzuknallen», erklärte eben Mr. Chalmers und schob die Zigarre in seinem Mund umher. «Die gleiche Lösung schwebt mir für solches Gesindel wie Sie vor», bemerkte mein hochgewachsener, hübscher rothaariger Bruder lächelnd. Chalmers knallte die Türe zu seinem Privatbüro zu, und ich zog mit Cleve ab.
Zwei Tage später wurde das Büro geschlossen. Ich war gespannt darauf, wie Mr. Chalmers sich zum Abschied gebärden würde. Obschon er mich persönlich für die Wirtschaftskrise verantwortlich machte, mochte ich ihn doch ganz gerne. Die Stellung, die er bei den Holzexporteuren hatte, war sicher seine letzte Möglichkeit gewesen, und ich machte mir Sorgen, was nun aus ihm werden würde. Als Mr. Webster das Büro auflöste, bedeutete dies nur, daß er fortan selbständig anstatt als Angestellter eines Konzerns arbeiten würde, und wir hatten die Auflösung des Büros gefeiert. Natürlich erwartete ich nichts dergleichen von Mr. Chalmers, der taub gegen alle
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