Betty kann alles
Ermahnungen der Holzexporteure geblieben war und einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte; daß die Angestellten das sinkende Schiff verlassen hatten und nur noch ich übriggeblieben war.
Aber er benahm sich am letzten Tag wie am ersten. Er kam mit viel Geräusch hereingestürmt, knallte die Türen und setzte sogleich das Summsignal für mich in Bewegung. Ich solle eine Kiste Canadischen Whisky für ihn bestellen, befahl er.
Ich rief Joe, den Alkoholschmuggler, an und fragte mich im stillen, ob die veränderte Lage nicht unseren Kredit gefährden würde. Joes Frau kam ans Telefon. Ich erkundigte mich nach ihm, aber sie erklärte, er könne nicht an den Apparat kommen. «Er ist tot.» Ich sagte, das täte mir aber leid, und sie erwiderte unbeschwert: «Schon recht, mein Engel, wir müssen alle mal dran glauben. Was wollten Sie denn?» Ich erwiderte: «Ich wollte eine Kiste Canadian Club bestellen.» «Tja, mit Canadian Club, das ist so 'ne Sache, mein Engel. Alles, was ich hier hab, ist der Alkohol und die Etiketten.» Ich unterdrückte die Frage, ob sie auch den Sand und die Riedgräser habe, mit denen Joe seine Flaschen zu verzieren pflegte, um so den Beweis zu erbringen, daß die Flaschen direkt aus Canada auf dem Wasserwege hereingeschmuggelt worden waren. Ich sagte, ich wolle mit Mr. Chalmers Sprechen und würde sie später anrufen. «Geht in Ordnung, mein Engel, ich bin den ganzen Tag hier», antwortete sie frohgemut.
Ich berichtete Mr. Chalmers von Joes Ableben, und er machte nur «Huuumpf», stülpte sich den Hut auf den Kopf und verließ das Büro. Ich wartete und wartete, aber er erschien nicht mehr. Kurz nach ein Uhr packte ich meine persönlichen Hab Seligkeiten zusammen und ging heim. Mr. Chalmers sah ich nie mehr wieder. Ich rief in seinem Club an, aber dort erhielt ich nur die Auskunft, daß er ausgezogen sei, ohne eine Adresse zu hinterlassen.
Damit war meine Tätigkeit im Holzhandel beendet.
5
Die meisten weiblichen Wesen zwischen dreizehn und fünfundvierzig empfinden es als beschämend, wenn sie am Sonnabend des abends allein zu Hause sitzen müssen und keine Verabredung haben, und die peinliche Tatsache wird mit gleicher Ängstlichkeit geheimgehalten wie etwa Hühneraugen. Ich war nicht gescheiter als die anderen und pflegte die dümmsten Lügen aufzutischen, wenn jemand taktlos genug war, mich am Sonnabend um halb zehn Uhr abends anzurufen und sinnigerweise zu fragen: «Was machst du?»
«Ach, nichts weiter. Ich trinke Champagner und rauche Opium. Ich war verabredet, aber mein Bekannter hatte eine Panne mit seinem Wagen», lautete in solchen Fällen meine Antwort.
Und darum bin ich eigentlich meiner Schwester Mary dankbar, daß sie mich nicht nur zur Selbständigkeit erzogen hat, sondern auch als Versuchskaninchen für unbekannte Verehrer benützte und mich damit von meinem Mauerblümchen-Komplex heilte.
Ich muß vorausschicken, daß Mary Menschen liebt und nicht genug von ihnen bekommen kann. Sie ist gar nicht wählerisch, eine Eigenschaft, die bei einer Freundin wunderbar ist, sich jedoch erheblich weniger vorteilhaft auswirkt, wenn es darum geht, Leute zusammenzubringen. Als ich sie das erstemal am Telefon sagen hörte: «Ich habe heute leider keine Zeit, aber Betty kommt gern», protestierte ich energisch.
Meine berufliche wie meine gesellschaftliche Karriere wurde von Mary am gleichen Tage gestartet. Die berufliche Karriere begann mit Mr. Webster und die gesellschaftliche mit Worthington Reed, der Mary zum Mittagessen einladen wollte und dem erklärt wurde: «Ich kann leider nicht kommen, aber meine Schwester Betty hat Zeit.» Ich freute mich ungemein und war schrecklich aufgeregt, als kurz vor zwölf Uhr Worthington Reed in einem zerknitterten Anzug und einer Pfeife im Mund erschien, seine linke Augenbraue hob und sagte: «Los, gehen wir.» Worthington war ein hübscher Mensch, und da seine saloppe Kleidung vereinzelte Fettflecken auf der Jacke und ein Loch im Strumpf einschloß, war ich überzeugt, einen Intellektuellen vor mir zu haben. «Das ist das Leben!» dachte ich begeistert, als ich die Bürotüre hinter mir schloß. «Eine Stellung, die Stadt und einen fabelhaften Kavalier, der mich zum Essen einlädt!»
Das Lokal, das wir aufsuchten, war ebenfalls romantisch. Dunkle Holztäfelung, Steinboden, lederne Bänke und Wandpolster in den Nischen, der angenehme Geruch von warmen Brötchen, Wiener Schnitzel, Roastbeef und Kaffee, und alles in dämmriges Licht getaucht, das die
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