Betty kann alles
gestopften Stellen in den Tischtüchern verhüllte. Meine Hände zitterten, als ich mir eine Zigarette nach der anderen anzündete und versuchte, genug Mut aufzubringen, den ersten Stein in den See des Schweigens zwischen Worthington und mir zu werfen.
Krampfhaft suchte ich nach einer passenden Bemerkung, nach einem Thema, das zu zerknitterten Anzügen und Pfeifen paßte. Worthington lag halb in seinem Sitz, die Beine von sich gestreckt, und beobachtete über meinen Kopf hinweg das Kommen und Gehen ringsum. Um nur etwas zu sagen, stammelte ich schließlich voller Verzweiflung: «Ach, das scheint richtiges Leder zu sein», und strich mit der Hand über das Bankpolster. «Es fühlt sich auch an wie richtiges Leder», fügte ich intelligenterweise hinzu. «Uppa, uppa, uppa», machte Worthingtons Pfeife. «Es riecht auch wie richtiges Leder», fuhr ich in meinem Monolog der Verzweiflung fort, beugte mich vor und schnüffelte an den Polstern wie ein Hund an der Straßenecke» Worthington hob die Augenbrauen und hüllte sich weiter in Schweigen.
Der Tisch neben uns wurde besetzt. Die Schultern der Leute waren naß und ihre Gesichter rosig und feucht vom Regen. «Ach, es regnet draußen», rief ich aus, als ob es dies nicht während der letzten fünf Wochen ununterbrochen getan hätte. Worthington musterte mich forschend. Seine Augen waren von einem klaren Blau und die Wimpern lang und schwarz. Als ich plötzlich den Eindruck hatte, nur ein einziges Auge vor mir zu sehen, kam mir zum Bewußtsein, daß ich mein Gegenüber die ganze Zeit angestarrt hatte. Verlegen wandte ich mich ab.
Worüber konnte ich nur reden? Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, was Marys intellektuelle Freunde, die jeweils übers Wochenende unser Haus bevölkerten, an gescheiten Bemerkungen zum besten gegeben hatten, aber mir fiel nur der Ausruf eines jungen Mannes ein, der mit Vorliebe ausgestreckt am Boden lag, die Augen geschlossen hielt und aus Prinzip alles haßte. «Um Himmels willen nicht Bizet», hatte der junge Mann gesagt. «Er ist so zum Erbrechen Rokoko!»
«Mögen Sie Bizet?» erkundigte ich mich voller Hoffnung bei Worthington. «Bi – was?» fragte er stirnrunzelnd, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. «Bizet» wiederholte ich flüsternd, voller Angst, den Namen falsch ausgesprochen zu haben. Worthington ließ sich zu keiner Antwort herab, und in meiner Verlegenheit griff ich nach einem Brötchen und schmierte es gerade mit Butter, als Worthington sich vorbeugte, meinen Arm mit festem Griff umspannte, mir tief in die Augen sah und fragte: «Haben Sie ein geschlechtliches Triebleben?» Ich brauche kaum zu erwähnen, daß ich für den Rest der Mahlzeit keine Gelegenheit mehr hatte, vom guten alten Bizet und Rokoko zu reden.
«Du brauchst Zerstreuung», erklärte Mary, als sie den Hörer auf die Gabel legte, nachdem sie eben einem Mädchen namens Clara versichert hatte, daß ihre Schwester Betty nichts lieber täte, als mit Claras Vetter Bill tanzen zu gehen.
«Wenn deine Auffassung von Zerstreuung die ist, daß ich in einem dunklen Taxi meine Tugend verteidigen und krampfhaft nach dem deutschen Ausdruck für ‹Hände weg› suchen muß, dann gehen unsere Auffassungen leider auseinander», bemerkte ich erbost.
«Ach, du denkst noch an Hans!» wehrte meine Schwester überlegen ab. «Europäer sind anders als wir in diesen Dingen, weißt du. Und Hans ist sowieso längst wieder nach Deutschland zurückgefahren. Aber er war ein fabelhafter Tänzer.»
«Fabelhafter Tänzer, jawohl!» rief ich spöttisch. «Wenn's dir nichts ausmacht, im Takt der Musik in den Busen gezwickt zu werden!»
«An dem Abend bei Andersons fand ich Hans ganz reizend», beharrte Mary. «Er ist ein Graf, einer von den Habsburgs.»
«Bei den Andersons waren an dem Abend an die hundertfünfzig Leute eingeladen», versetzte ich grimmig, «und ich gehe jede Wette mit dir ein, daß die Hälfte von ihnen irgendwo Hansens Fingerabdrücke hatte. Weißt du, daß der Kerl versucht hat, mir im Kino die Bluse aufzuknöpfen und mich auf die nackte Schulter zu küssen?»
«Aber Betty! Das ist doch europäisch! Die tun das dort ununterbrochen. Auf die Schulter küssen ist bei denen gang und gäbe. Du hast doch die ‹Lustige Witwe› gesehen!»
«Sag, was du willst. Ich gehe heute abend nicht aus. Du kennst Claras Vetter Bill überhaupt nicht.»
«Aber ich kenne Clara, und du kennst sie auch. Clara und ihr Mann gehen doch mit. Komm Betty, sei kein
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