Betty kann alles
gehe Kaffee trinken, Mr. Chalmers. Falls angerufen wird, nehmen Sie die Gespräche bitte entgegen.» Vom anderen Ende der Leitung erklang ein dumpfes Röhren und dann Zischen, wie von Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte, aber Mary ließ sich auf keine weitere Unterhaltung ein und legte den Hörer einfach wieder auf.
Ich begriff Mary nicht, die vergnügt Kaffee trank und ein Butterhörnchen aß und lachen und scherzen konnte, während oben das Monstrum auf sie wartete. Aber sie meinte, ich solle mir keine Gedanken machen, Mr. Chalmers würde sich mittlerweile beruhigt haben. Und sie hatte recht.
Mary mußte mich beinahe mit Gewalt in Mr. Chalmers' Büro ziehen, um mich ihm vorzustellen. Er sah aus wie ein Seehund mit einer dicken Zigarre im Mund, blickte mich freundlich an und machte nur: «Huuumpf.» Damit war die Vorstellung erledigt, und während der nächsten Tage beorderte er mich in sein Büro – zwei Summtöne waren mein Signal – um ihm ein Glas Wasser zu holen, das Fenster zu öffnen oder zu schließen, Papiere vom Boden aufzuheben, die Rolläden ein paar Zentimeter hinauf- oder hinunterzulassen, den Safe aufzuschließen und ihm seine Whiskyflasche zu reichen. Als er mir eines Tages ein paar Fragen über die Holzverhältnisse in der Gegend, in der ich gelebt hatte, stellte und ich sie ihm zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte, war er höchst erfreut und erzählte mir seinerseits vom Holzschlagen in den Zypressensümpfen.
Bis zum heutigen Tage könnte ich nicht sagen, worin Mr. Chalmers' eigentliche Tätigkeit bestand und welche Aufgabe dem Büro zufiel, aber die Arbeit war ausgesprochen angenehm. Wenn ich nicht gerade, von Mr. Chalmers' Summen ins Büro zitiert, Papiere auflas oder die Fenster öffnete und schloß, saß ich im Vorraum, schrieb Rapporte für Mary ab, spitzte Bleistifte oder arbeitete an der schauerlich-schönen Geschichte «Sandra gibt nach», die wir damals gerade mit vereinten Kräften verfaßten.
Eines schönes Tages beorderte Mr. Chalmers mich wiederum in sein Büro, wo ich bewaffnet mit dem Staubtuch erschien. Doch zu meiner Überraschung erteilte er mir nicht den Auftrag, eine Fliege zu töten oder seinen Aschenbecher zu leeren, sondern er eröffnete mir, daß ich vom nächsten Morgen an meine gesamte Arbeitszeit in der öffentlichen Bibliothek zu verbringen und alles zu lesen habe, was über das Shermansche Anti-Trust-Gesetz geschrieben worden war.
Er erläuterte mir nicht weiter, was hinter diesem Auftrag steckte, und ich war zu schüchtern, ihn zu fragen. Ich wandte mich an Mary um Aufklärung. Sie runzelte die Stirn und erwiderte versonnen: «Es hört sich an, als ob ich ihm erzählt hätte, du seiest Juristin. Ach, aber das ist doch ganz egal. So gescheit wie er bist du auch, obwohl das nicht viel zu sagen hat. Geh in die Bibliothek, lies, was du ausfindig machen kannst, notiere dir Stichworte und fabriziere dann einen Bericht darüber. Er wird vermutlich nie einen Blick darauf werfen, aber deine Tüchtigkeit wird ihm großen Eindruck machen.»
Die nächsten zwei Wochen verbrachte ich also in der Bibliothek und kam mir vor wie in der Schule bei der Vorbereitung auf ein Examen. Ich las und machte Notizen und legte nach Ablauf von zwei Wochen ein Originalexemplar mit zwei Kopien von meinem Bericht auf Mr. Chalmers' Schreibtisch. Mr. Chalmers aber schien in der Zwischenzeit vergessen zu haben, wer ich war oder was ich tat. Er warf einen Blick auf meinen Bericht und versenkte ihn darauf in der Schublade seines Schreibtisches und hub an, mir einen längeren Vortrag über Pittman-Stenographie zu halten, die er konnte, von der ich aber keinen blassen Schimmer hatte.
Eine Woche nach meiner getreulichen Ablieferung des Berichtes über das Shermansche Anti-Trust-Gesetz eröffnete mir Mr. Chalmers, daß ich fortan alle Zeitungen und Zeitschriften der Finanzwelt zu lesen, sämtliche irgendwie wichtigen Mitteilungen daraus zu entnehmen und in einem wöchentlichen, interessant zusammengestellten Bulletin an alle Holzfachleute im Staate Washington weiter zu vermitteln hatte. Das Wort ‹interessant› betonte er besonders. Freitags sollte ich stets das Material zusammenstellen und zur Begutachtung auf seinen Schreibtisch legen. Die Begutachtung bestand darin, daß er in jeden zweiten Satz ‹Tatsache ist› einflocht und auch sonst manches tat, um das Geschriebene zu verklausulieren und damit nicht gerade deutlicher zu machen. Sonnabends hatte ich dann das korrigierte Bulletin
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