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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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besuchte, wurden in einem riesigen grauen Gebäude abgehalten, in dem es nach menschlicher Ausdünstung, alten Broten und Kalk roch. Im allgemeinen fanden meine Kurse von sechs bis acht Uhr statt, was sehr angenehm war, weil ich auf diese Weise gleich vom Büro aus hingehen und dann später zu Hause abendessen konnte. Manchmal aber fiel die Stenographiestunde auf die Zeit von sieben bis neun Uhr. Um die Wartezeit totzuschlagen und nicht den langen Weg nach Hause zweimal am gleichen Abend zurücklegen zu müssen, schrieb ich mich noch für einen anderen Kurs ein. Einmal nahm ich Französisch, ein andermal Redekunst und einmal Schöpferisches Schreiben.
    Jede einzelne Stunde des Kurses für Schöpferisches Schreiben war überfüllt von verbitterten Leuten, die gern Schriftsteller sein und wie Künstler leben wollten. Beinah ausnahmslos alle schleppten Aktentaschen voller Manuskripte mit sich herum, die die Verleger entweder aus Feigheit oder aus Gemeinheit oder aus Neid nicht gedruckt hatten, oder die sie lange genug behalten hatten, um die wundervolle Grundidee zu stehlen und einem bekannten Autor einzuflüstem. Nach einigen Stunden begann ich mich zu fragen, ob schlechter Mundgeruch etwas mit Verbitterung zu tun hatte, denn so viele dieser unveröffentlichten Schriftsteller rochen scheußlich aus dem Mund.
    Abgesehen von dem schlechten Mundgeruch und der Verbitterung zerfleischte sie der Neid untereinander. Der Lehrer, der mir eines Abends anvertraute, daß es eine traurige Aufgabe sei, Leuten, die nichts zu sagen hatten, beizubringen, wie sie dieses Nichts ausdrücken sollten, hielt uns an, kleine Geschichten und Abhandlungen zu schreiben, sie dann laut vorzulesen und öffentlich zu diskutieren.
    Bevor das jeweilige unglückliche Opfer sein Vorlesen noch beendet hatte, schossen die Arme der herausgeforderten Kritiker in die Höhe wie die Halme auf einem Weizenfeld. Die Urteile lauteten etwa: «Der Stil ist miserabel, und kein bißchen Wahrheit steckt in der Geschichte», oder «Es ist mir unangenehm, es zu sagen, meine Liebe, aber Ihre Grammatik hinkt bedenklich.» Oder: «Der Verfasser dieser Geschichte sollte sich bemühen, ein wenig tiefere Bedeutung in sein Geschreibsel zu bringen, damit eine nachdrückliche Erinnerung daran haften bleibt.» Oder: «An einer Stelle heißt es, die Kabine sei zwanzig Meter lang, und an einer anderen Stelle heißt es, sie sei nur achtzehn Meter lang.»
    Es gab auch Anhänger der Poesie, die Gedichte verfaßten wie:
O herrliche Wasser des Pudget Sund,
    Ihr seid blauer und sanfter als der harte Grund!
    O ihr herrlichen Berge voller Majestät,
    allnächtlich ergehe ich mich in dankendem Gebet
    Die Poeten ernteten bedeutend weniger Kritik und viel mehr Anerkennung als die Produzenten simpler Prosa.
    Ich stellte fest, daß diejenigen, die am schlechtesten aus dem Mund rochen, am beharrlichsten danach trachteten, einen zu erwischen und einem den Grundgedanken ihrer Trilogie über das Leben der Gelbmuscheln in allen Einzelheiten auseinanderzusetzen. In einem Punkt schien Übereinstimmung zu herrschen: Erfolgreiche Autoren verdankten ihren Erfolg nur undurchsichtigen Beziehungen zu irgendwelchen Verlegern oder unanständigen Büchern.
    Eine große, sehr starke Person, die schräg vor mir zu sitzen pflegte und ihren beachtlichen Magen nur mit Mühe hinter die Schulbank zu pressen vermochte, war auf religiöse Gedichte spezialisiert. Einige davon verehrte sie mir zur ewigen Erinnerung. An eines besinne ich mich noch:
Hier bin ich, Jesus, nimm mich auf zu Dir,
    Du hast nicht umsonst gelitten, Jesus,
    und bist nicht umsonst erschienen, Jesus.
    Nun bin ich allein, Jesus,
    Du bist mein einz'ger Halt,
    Ich sehne mich nach Dir, Jesus,
    nimm mich zu Dir bald.
    Ich möchte wieder zu meinem Papa,
    er ist bei Dir dort oben,
    und auch Johnny, Mildred und Bertha
    starben am Schnupfen und sind nun dort droben.
    Die Dichterin hieß Mrs. Halvorsen, und, nach ihren Erzählungen zu schließen, hatte sie begraben, wer immer ihren Weg gekreuzt hatte. Abgesehen von Johnny, Mildred, Bertha und dem Papa, die bei der Grippeepidemie nach dem ersten Weltkrieg umgekommen waren, hatte es noch zahllose Charlies und Dannys und Carls und Helwigs und Irmas gegeben, die in ihren Bettchen erstickt, sich an ersten Zähnchen verschluckt oder aus unerfindlichen Ursachen aufgeschwollen und gestorben waren oder nur diese Welt betreten hatten, um anzukündigen, daß sie zu Jesus einzugehen beabsichtigten, was sie auch prompt

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