Betty kann alles
Untergeschoß der Kirche dort drüben?» fragte ich Dede. «Komm, wir gehen auch, dann werden wir es ja bald wissen», schlug Dede vor, die stets mit von der Partie war, wenn es etwas Neues zu erforschen galt. Und so erfuhren wir, daß Miss Irma Grondahl ein Schülerkonzert gab, in dem nicht nur ihre Schüler, sondern auch sie selbst sich am Klavier produzierte. Da Dede und ich nichts weiter vorhatten, ließen wir uns auf den Klappstühlen in der ersten Reihe nieder und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Kaum saßen wir, erschien Miss Grondahl in einem langen goldgelben Samtcape und forderte uns, da sie annahm, wir seien die interessierten Verwandten eines ihrer Schüler, auf, ihr beim Hinüberschieben des Klaviers auf die andere Bühnenseite und beim Anordnen staubiger Lorbeerblätter vom an der Rampe behilflich zu sein.
Dann begann das Konzert. Es bot nichts Besonderes bis auf die Eigenart, daß sämtliche Spieler Fehler machten und gleich Uhrenpendeln vor- und zurückschwangen. Ein Dreikäsehoch, der bestimmt nicht älter als vier Jahre war, spielte stehend ein Kinderliedchen und malträtierte dazu das Pedal.
Darauf erschien Miss Grondahl, jetzt ohne das Cape, in einem ärmellosen schwarzen Satinkleid und einer Glasperlenkette. Sie verkündete, daß sie «Frühlingsrauschen» und «Horch, die Lerche singt» zum besten zu geben gedächte.
Dann setzte sie sich vors Klavier, schloß die Augen, faltete die Hände im Schoß und begann vor- und zurückzuschwanken. Und ganz plötzlich ließ sie die ersten Läufe des «Rauschens» los. Miss Grondahl spielte mit viel Energie und in beachtenswerter Lautstärke, aber was ihre Produktionen für Dede und mich unwiderstehlich machten, waren die schwarzen Haarbüschel in ihren Achselhöhlen, die jedesmal sichtbar wurden, wenn sie am Ende eines Laufes oder für einen besonders kraftvollen Akkord die Arme hob.
Nach dieser ersten Kostprobe verfolgten wir aufmerksam die Anzeigen in der Zeitung und schnitten jede Ankündigung eines Vorsingens, Schülerkonzerts, Schautanzens oder Vortragsabends von Laien aus, wenn der Zeitpunkt der Vorstellung nicht in unsere Arbeitsstunden fiel und der Schauplatz von unserer Wohnung aus zu Fuß zu erreichen war. Wir waren bald vollkommen im Bilde über die moderne Tanzkunst, deren sonderbare Ausdrucksform uns manchmal so stark an eine Schwangere in Wehen oder jemanden, den eine Biene gestochen hat, erinnerte, daß wir uns zu ungeniert amüsierten und daher einige Male ersucht wurden, doch bitte den Saal zu verlassen. Vorsingen hatten wir am liebsten.
Schon nach kurzer Zeit fanden wir heraus, daß es am sichersten war, sich in die letzte Reihe zu verkriechen, denn bereits beim ersten gequälten Schrei des ersten Sängers quietschten wir vor Vergnügen, und die Lehrer, die gewohnt waren, die Reihen mit bewundernden Freunden und Verwandten gefüllt zu sehen, zeigten sich gegen unsere übersprudelnde Laune empfindlich. Stießen wir auf einen schwerhörigen oder gar tauben Sänger oder auf eine Altstimme, bei der die Klöße in der Kehle überzuquellen drohten, kannte unsere Freude keine Grenzen.
Das Zuhören bei den verschiedenen Vorsingen, Vortanzen und Vorspielen weckte unseren Appetit auf ähnliche primitive Vergnügen, und so begannen wir, auch an anderen geselligen Anlässen teilzunehmen. An den Jahrestee der Nordwestlichen Schwemmholz-Gesellschaft erinnerten wir uns noch lange wegen der wenigen Gäste und der enormen Platten belegter Brötchen, die herumgereicht wurden. Während wir von den Broten aßen, was wir bewältigen konnten, gaben wir unsere fachmännische Meinung über Treibholz und die besten Schwemmanlangen und die geeignetsten Jahreszeiten zum Ausdruck.
Bei den Schriftstellerinnen gab es wenig zu essen, dafür aber viel zu rauchen. Die meisten Gartenvereinigungen betrachteten uns mit Mißtrauen; wir erschienen ihnen zu jung. Aber die Sammler nordamerikanischer Indianer-Reliquien, die Gesellschaft zur Erhaltung der Douglas-Tannen und der Verband der Achatpolierer des Nordwestens waren froh über jeden Gast, der erschien.
Eine andere Quelle des Vergnügens in jenen durch Armut gekennzeichneten Jahren war das Häusersuchen. Mein Bruder Cleve hatte im Verlauf einer unendlich langen Kette von Tauschgeschäften, die er – soweit ich mich erinnere – im Alter von zehn Jahren damit begonnen hatte, einen von Mutter aus Mexiko mitgebrachten Sattel gegen etwas anderes einzuhandeln, einen großen, niedrigen, cremefarbenen Wagen mit
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