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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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eine Leistung besonderer Art. Mir allein auf weiter Flur kam die Medaille zu, die am langsamsten Begreifende, am ausdauerndsten Studierende und am erfolglosesten Lernende zu personifizieren.
    Ich beehrte sämtliche in Seattle existierenden Abendschulen, sowohl die städtischen wie die privaten, mit meinem Besuch; hervorragende Lehrer quälten sich mit mir ab, aber ich brachte es einfach nicht fertig, stenographieren zu lernen.
    Mary hielt nie viel von Abendschulen. Sie betrachtete meine zähen Lernversuche als Zeitverschwendung, und sie hatte auch vollkommen recht; aber stenographieren zu lernen wurde eine fixe Idee von mir, so wie sich andere in den Kopf setzen, den Kanal zu durchschwimmen. Ich kaufte Bücher mit Kurzgeschichten in Stenographie, und jahrelang benützte ich die Zeit, in der ich im Autobus zur und von der Arbeit fuhr, dazu, diese stenographierten Kurzgeschichten zu entziffern. Ich paukte mir Zeichen für Zeichen des Stenographie-Lehrbuchs ein; während mehr als zehn Jahren verbrachte ich die Zeit von sieben bis neun oder sechs bis acht Uhr aller Montage, Mittwoche und Freitage in einem Klassenraum. Doch im gleichen Augenblick, in dem mir mein jeweiliger Vorgesetzter sagte: «Nehmen Sie Ihren Steno-Block, Miss Bard!» oder «Schreiben Sie folgenden Brief!» begannen mir die Hände zu zittern, mein Herz schlug einen Trommelwirbel, und ich malte die verrücktesten Kringel und Spiralen, anstatt der sanften Linien und ineinanderfließenden Kurven richtiger Stenographie, und beim besten Willen konnte ich mich nicht erinnern, ob «a» ein dicker oder dünner Abstrich war.
    Die Abendkurse unterscheiden sich von den Tageskursen nicht nur in der Zeit, sondern auch in der Atmosphäre und der Zusammensetzung der Schüler. Die Tagesschüler waren meist eifrige junge Leute, die es gar nicht erwarten konnten, eine Stellung in einem Büro anzutreten. (Die Narren!) Eine Welle des Selbstvertrauens strömte von ihnen aus. Die Besucher der Abendkurse hingegen setzten sich vornehmlich aus jungen Ausländern oder alten Inländern zusammen, die plötzlich darauf angewiesen waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und die aus verschiedenen Gründen selbst in normalen Zeiten schwer eine Stellung gefunden hätten. Entweder waren sie durch sprachliche Schwierigkeiten behindert, oder ihre Hautfarbe machte es besonders schwer für sie, oder die von den Jahren steifen Finger wollten nicht mehr recht gehorchen. Doch trotz aller Schwierigkeiten und der Ungleichheit ihrer Ausgangsstellung ließen sie nicht ab von ihren Bemühungen und versuchten mit zäher Ausdauer, sich ein Plätzchen in der abschreckend harten Geschäftswelt zu erringen.
    Zeitweise setzten sich meine Mitschüler in der Städtischen Abendschule nur aus alten Damen und jungen Japanerinnen zusammen. Die alten Damen arbeiteten angestrengt an den Schnelligkeitsübungen, und das Knacken ihrer ungelenken Knochen wie ihr lautes Atmen übertönte oft das eintönige nasale Diktat des Lehrers.
    Die Verzweiflung über meine eigene Unfähigkeit, je stenographieren zu lernen, wurde von der tragischen Erkenntnis überschattet, daß diese alten Damen und jungen Japanerinnen nie eine Stellung finden würden, auch wenn sie fünfhundert Wörter in der Minute stenographierten und schneller schrieben als der Blitz. Nicht nur wegen der Wirtschaftskrise war es für sie so besonders schwer. Es lag an der hartherzigen schrecklichen Sitte in amerikanischen Geschäftskreisen, so gut wie nie weibliche Büroangestellte zu nehmen, die keine weiße Haut haben oder über dreißig Jahre alt sind.
    Die kleinen Japanerinnen waren blendende Stenographinnen. Von Natur aus hurtig, geschickt, mit schneller Auffassungsgabe bedacht und einem besonderen Talent, das Gedankengut anderer zu übernehmen, lag es ihnen besser als uns allen, schnell und genau nach Diktat zu stenographieren. Wenn die Lehrer uns am Schluß der Kurse lange Abhandlungen mit einer Geschwindigkeit von zweihundert Silben in der Minute diktierten und dann fragten, wer die Diktate lückenlos habe mitschreiben können, schossen einzig die schmalen, gelblich getönten Hände der Japanerinnen in die Höhe. «Lesen Sie Ihr Stenogramm vor, Miss Fukiyama», sagte der Lehrer, und Miss Fukiyama las mit ihrem süßen dünnen Stimmchen und kaum merkbarem Zögern genau das, was diktiert worden war. Machte sich die gleiche Miss Fukiyama aber dann auf die Stellensuche, wurde ihr höchstens Hausarbeit angeboten.
    Die Volksschulkurse, die ich

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