Betty kann alles
gerade hereinkam, um Marys Bluse, Dedes Jacke und Alisons Schuhe zurückzubringen. «Darf ich ihn mal anziehen?»
«Nein!» schrien Mutter, Mary, Dede und ich mit vereinten Kräften und wie aus einem Munde.
«Dieser Mantel ist ein Charlie Petcock Modell», klärte Tante Alice uns auf. «Er steht dir blendend, Mary, das muß ich sagen. Zu rotem Haar paßt er besonders gut.»
«Laß mich mal probieren», bat ich. Ich sah in den Spiegel und kam mir vor wie ein Filmstar. Dann probierten Mutter, Dede und Alison den Mantel an, und alle sahen wie Filmstars darin aus.
«Wie lieb von dir, Tante Alice, vielen, vielen Dank!» sagten wir glücklich, als Mutters Bekannte, die wir immer schon einfach Tante genannt hatten, sich verabschiedete.
«Denkt daran, daß es ein original Charlie Petcock Modell ist», mahnte sie. «Geht vorsichtig damit um.»
Montag trug Mary den Mantel ins Büro; Montag abend zog ich ihn ins Kino an. Dienstag morgen nahm ich ihn ins Büro; Dienstag abend steckte Dede sich den Saum hoch und trug ihn zu einer Verabredung. Mittwoch zog Mutter ihn am Morgen in die Stadt an, und am Abend nahm Mary ihn zu einer Gesellschaft. Donnerstag trug ich ihn wieder ins Büro, und am Freitag bekamen wir die Rechnung von Tante Alice. «Ein original Charlie Petcock Modell, 75 Dollar.»
«Diese gemeine alte Ziege!» «Diese geizige Kanaille, die vor Geld nicht aus den Augen sehen kann!» riefen wir empört und behielten den Mantel und trugen ihn übers Wochenende. Montag abend brachte Mary ihn zurück, und Tante Alice musterte Zentimeter für Zentimeter mit einem Vergrößerungsglas und sagte mit spitzen Lippen: «Wie dumm von dir, Mary. Nicht einmal den Pelz allein könntest du für das Geld kaufen.»
«Erstens hatte ich den Eindruck, daß du mir den Mantel schenkst und nicht verkaufst, und zweitens können wir für 75 Dollar warme Sachen für die ganze Familie kaufen.»
Tante Alice hängte den Mantel in einen ihrer überquellenden Schränke und bemerkte nur: «75 Dollar ist geradezu lächerlich wenig für ein Charlie Petcock Modell.»
Schuhwerk war ein Problem für sich in jenen Tagen. Mary, Dede und ich pflegten unsere Schuhe in einem kleinen Laden zu kaufen, wo man Kopien von Andrew Geller und I. Miller Modellen für 1.98 Dollar erstehen konnte. Aber man mußte die Schmerzen ertragen können und durfte bei Regen nicht auf die Straße gehen damit. Die 1.98 Dollar-Kopien von Modellen mußten lange und geduldig eingetragen werden und wurden erst bequem, wenn sie aus dem Leim gingen, aber sie sahen sehr hübsch aus. Ich erinnere mich an ein Paar grüne Schlangenschuhe, die entzückend aussahen, aber zwei Monate von der ganzen Familie eingetragen werden mußten, bevor ich darin quer durchs Zimmer humpeln konnte, ohne vor Schmerzen in Ohnmacht zu sinken.
Letzten Winter erstand ich ein Paar Krokodilleder-Schuhe für 49.50 Dollar, und obwohl sie von Anfang an bequem waren und noch heute tadellos aussehen, denke ich mit sehnsüchtiger Wehmut an jene Zeiten zurück, da ein plötzlich heraufziehendes Gewitter dazu führen konnte, daß meine neuen braunen Kunstlederpumps sich auflösten und ich in Strümpfen auf der Straße stand.
13
Während jener Jahre, in denen wir alle daheim lebten, hatte meine Mutter alle Hände voll zu tun. Sie sorgte für meine beiden Kinder, machte die Betten, wusch das Geschirr ab, mähte den Rasen, düngte die Beete, wusch, bügelte, kochte, kaufte ein, nähte, stopfte und nahm sich mit tierärztlicher Fürsorge unserer Haustiere an, die zu einer Zeit drei Hunde, vier Katzen, einen Kanarienvogel, zwei Meerschweinchen, ein weißes Kaninchen und eine Ente umfaßten.
Zur Entspannung und Erholung ließ sich Mutter die Träume der übrigen Familie erzählen, hörte sich Geschichten über Stellungen und Liebeserlebnisse an, ganz gleich wie lang und wie eintönig sie waren, verfolgte zahlreiche Radioprogramme, züchtete Himmelsschlüsselchen, las alle neuen Bücher und jede Zeitung oder Zeitschrift, deren sie habhaft werden konnte, und beteiligte sich an Wettbewerben.
Jahrelang wurden bei uns zu Hause Schachteln und Umhüllungen von Seifenflocken oder Küchenseife aufgehoben, weil Coupons darauf aufgedruckt waren, die man bei den Wettbewerben einsenden mußte. Mit Begeisterung verfaßte Mutter fünfundzwanzig oder weniger Worte umfassende Schlagzeilen, warum Lux oder Camay oder Oxydol am besten sei. Sie hegte selbstlose Pläne, was sie mit den zu gewinnenden tausend Dollar oder dem neuen Auto tun
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