Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
dann hatte Mary eine Schneiderin, die nicht teuer war und es verstand, die Modelle aus den Modejournalen zu kopieren. Die einzige Schwierigkeit bei dieser Schneiderin bestand darin, ihr die Sachen zu entreißen, bevor sie Zeit fand, sie zu besticken. Sticken war ihre Leidenschaft, und sie brannte darauf, wollene Blumen auf Mäntel, Phantasievögel auf Kleider und Blattmuster auf Kostüme zu sticken. Für das Schneidern verlangte sie so wenig, weil sie ihre Stickkunst sehr hoch in Rechnung stellte, doch leider ließen wir es bei unseren Sachen nie dazu kommen.
    Weiter bediente sich Mary gern und oft der Kisten und Koffer voller alter Sachen, und wenn sie zu einer Cocktailparty eingeladen wurde, zog sie sich mit der Gartenschere bewaffnet zurück und kam ein paar Stunden später mit einem eben angefertigten Modell zum Vorschein. Eines Tages nahm sie unser langes schwarzes Taftabendkleid und das weiße Kleid, das wir zum Examensabschluß in der Schule getragen hatten, und indem sie den Ausschnitt des einen erweiterte und die Ärmel abschnitt und den Rock des anderen abtrennte, stellte sie ein sehr hübsches schwarz-weißes langes Kleid mit Puffärmeln aus Organdy her. Der Nachteil von Marys genialen Modeschöpfungen war nur, daß sie ihre Kreationen mit Nadeln zusammenzuheften pflegte, und setzte man sich dann in ihren Modellen hin, kam man sich wie ein Yogi auf dem Nagelbrett vor.
    Eine Mrs. Schumacher, eine sehr reiche Freundin meiner Mutter, traf Mary einmal bei einer Gesellschaft und bewunderte ihr Kleid so sehr, daß Mary ihr erzählte, wie sie es keine zehn Minuten vorher aus alten Samtvorhängen geschneidert hatte. Mrs. Schumacher war dermaßen beeindruckt, daß sie uns am nächsten Tag einen Karton voller Sachen schickte und dazu schrieb: «Einige Kleider, die ich kaum getragen habe und die Ihnen und Ihrer tapferen Familie noch nützlich sein können.»
    «Hurra!» schrien wir wie aus einer Kehle und stürzten uns jubelnd auf die unerwartete Pracht. Aber als wir den Karton geleert hatten, war es uns klar, daß wir um vieles tapferer hätten sein müssen, als Mrs. Schumacher annahm, um die gespendeten Kleider zu tragen. Es waren allesamt Blusen riesigen Umfangs und Abendkleider der gleichen Größe aus Chiffon und Satin und über und über mit Perlen bestickt. Doch das schlimmste war: Mrs. Schumacher schien nur lila und fuchsrot zu tragen.
    «Da, amüsiert euch damit», sagten wir enttäuscht und gaben die ganze Pracht an Anne und Joan weiter, und noch Jahre später konnten wir die Kinder im Spielzimmer hören, wie sie sich wegen der Kleider zankten und sagten: «Aber Joan, du weißt ganz genau, daß Tyrone Power nie ein Perlenschumacher tragen würde.» Oder: «Wie kann ich Sonja Henie sein, wenn du das Chiffonschumacher anhast?»
    Letztes Jahr, als ich im Süden Kaliforniens bei einem Empfang Autogramme gab, kam eine dicke Frau in einem perlenbestickten Chiffonschumacher auf mich zu und sagte: «Sie wissen sicher nicht, wer ich bin.» Mir lag es auf der Zunge zu erwidern: «Wer Sie sind, weiß ich nicht, aber was Sie anhaben, kenne ich.» Doch zum Glück beherrschte ich mich und erwiderte nur: «Es tut mir leid, aber ich weiß es wirklich nicht.»
    «Ich bin Mrs. Schumacher aus Seattle», erklärte sie, und ich erwiderte spontan: «Nein, wie nett! Sie sind die Mrs. Schumacher, die uns während der Krise damals alle ihre alten Sachen gegeben hat!» Zu meiner Überraschung war sie nicht erfreut, sondern wurde ganz rot im Gesicht, sagte schnippisch: «Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern», und segelte davon, peinlich berührt von der Tatsache, daß ich einmal so arm gewesen war.
    Eine andere Bekannte von Mutter, die so reich war, daß sie es sich leisten konnte, schwarze Kleider mit brauner Borte verziert zu tragen, ähnlich wie unsere Putzfrau, nur mit dem Unterschied, daß in den Kleidern der reichen Bekannten «Florence Original» stand, während die Roben unserer Putzfrau mit Schildchen «St. Vincent und Paul» versehen waren, kam eines Nachmittags zu uns zu Besuch und trug über dem Arm einen herrlichen grauen Mantel mit Kragen und Ärmelaufschlägen aus Blaufuchs. «Ich habe diesen alten Mantel über», sagte sie und schob ihn uns zu. «Wie lieb von dir, Tante Alice!» rief Mary erfreut. «Darf ich ihn einmal anprobieren?» «Aber natürlich, Kind», erwiderte Tante Alice leutselig lächelnd. «Ich habe ihn dir ja mitgebracht.»
    «Himmel, was für ein toller Mantel!» sagte Alisons Freundin, die

Weitere Kostenlose Bücher