Betty kann alles
würde. Aber es blieben unerfüllte Pläne, bis die Zigarettenmarke Old Gold einen Wettbewerb ausschrieb und Mutter ihren Vers mit einem Begleitbriefchen einsandte, in dem sie behauptete: «Ich bin ein altes Großmütterchen, das zwei Pakete Old Gold täglich raucht.» (Und ununterbrochen hustet, hätte sie in Klammern hinzusetzen sollen.) Sie gewann fünfzig Dollar und zehn Schachteln Old Gold.
Mit den fünfzig Dollar erstand Mutter eine neue Weckuhr für ihren Nachttisch, und vom Rest wurden die am meisten drängenden «Türgeher» befriedigt. Doch die Uhr, deren Ziffern des Nachts leuchteten, zeigte Mutter zu deutlich, wie spät sie zu Bett ging und wie früh sie wieder aufstand, und so gab sie die Uhr Mary und mir. In Zukunft stand sie in unserem Zimmer und war ein Mahnbild von Mutters Tüchtigkeit anstatt einer stetigen Erinnerung an ihr hartes Los.
Mutters vielen Wettbewerben gegenüber verhielten wir uns sehr freundlich, aber ihre bevorzugten Radioprogramme stießen auf unseren Protest. «Wie kann ein intelligenter Mensch sich diesen Unsinn nur bieten lassen!» riefen wir entsetzt, wenn sie sich Stella Dallas anhörte, die trotz der vielen bei den feinsten Bostoner Familien verbrachten Jahre die Artikel verwechselte und einen gräßlichen Dialekt sprach.
Drehten wir das Radio kurz entschlossen ab, seufzte Mutter nur und sagte: «Na schön, morgen ist ja das gleiche Programm.»
Die einzige Programmfolge, gegen die wir nichts einzuwenden hatten, war «Vic und Sade». Es war eine wirklich nette Folge, sehr witzig und originell und ohne die üblichen Raub- und Mordgeschichten, die in allen anderen Fortsetzungsprogrammen unweigerlich vorkamen. Anscheinend war die Sache zu gut und zu originell, denn nach einem Weilchen wurde das Programm nicht mehr weitergeführt.
Und dann kam der Tag, da meine Schwester Mary auf das Spezialgebiet der Radioreklame überging und wir bedauerten, Mutter jemals das Radio abgedreht zu haben und froh waren über jeden Bericht, den sie uns geben konnte über das blöde Gewäsch von Ma Perkins, die «Uppurat» sagte, wenn sie telefonieren wollte, und Helen Trent, die welken weiblichen Wesen predigte, wie man mit fünfunddreißig Jahren noch sein Glück finden konnte. (Mit mehr als zweiundfünfzig wäre der Wahrheit näher gekommen.)
Kaum war Mary beim Radio gelandet, wandte sie ihre Energie uns anderen zu. Erst war es nur eine Sache eifrigen Zuhörens. Jeden Nachmittag verkündete Mary den Hausfrauen von Seattle, wie wunderbar sich mit Halbsohlen, Gebißreinigungspulver und Rattengift sparen ließ, und allabendlich hielt sie ihrer Familie einen Vortrag, wie uninteressiert wir seien.
«Habt ihr euch mein Programm angehört?» fragte sie strafend.
Und da wir ausnahmslos alle erwiderten «ja», ganz egal, ob wir zugehört hatten oder nicht, prüfte sie uns und erkundigte sich, was sie heute besonders angepriesen habe. Kam dann heraus, daß wir keine Ahnung hatten, warf sie empört ihre Serviette auf den Tisch und rief: «Wie kann ich erwarten, Millionen von Hausfrauen als Zuhörerinnen zu haben, wenn ich nicht einmal meine eigene Familie dazu bringen kann, mir zuzuhören?» Wir schämten uns schrecklich und gelobten Besserung.
Um ihre Programme eindringlicher zu gestalten, flocht Mary musikalische Zwischenakte ein, und so konnte sie es erreichen, daß Dede einmal engagiert wurde, um «Söhnchen mein» zu singen, was die gerührten Zuhörer dazu bringen sollte, in Scharen in das betreffende Geschäft zu strömen und Knabenunterhosen für 49 Cents zu kaufen. Wir fanden es wunderschön und fühlten die Tränen in unsere Augen steigen. Dede erhielt sieben Briefe von Verehrern ihrer Stimme und schminkte sich fortan bereits am frühen Morgen grüne Schatten auf die Augenlider.
Mary erwartete nach diesem großartigen Beginn selbstverständlich, daß Dede eine blitzartige Karriere machen würde. Sie half ihr, wo sie konnte, und verabredete öfters Vorsingen für Dede; die maßgebenden Leute hörten sich unsere kleine Schwester zwar an, wählten jedoch jedesmal einen Sopran mit einem Kloß im Hals und viel Gezitter, der «Über blauen Wassern» sang, um zum Kauf von Schokoladencreme oder Fliegenpulver anzuregen.
Mittlerweile verschaffte Mary meiner Schwester Dede eine Stellung bei einem Horoskopverfasser. Dedes Aufgabe war es, die Horoskope zu falten und in Kuverts zu stecken. Die Arbeit war einfach, und die Leute hatten auch nichts dagegen, wenn Dede von Zeit zu Zeit am Radio sang. Sie
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