Betty kann alles
chinesische Mandarinjacken und wasserdichte, klobige Stiefel. Dede und ich kamen nie dahinter, ob in der Occasionsquelle gestohlene Sachen gehandelt wurden, oder ob das Geschäft Restbestände aufkaufte oder ob die Inhaber einen blühenden Sklavenmarkt betrieben und die Kleidungsstücke der unschuldigen Opfer verschacherten. Was auch die Geschäftsmethoden sein mochten, wir liebten jedenfalls die Occasionsquelle.
Rein zufällig stießen wir eines Abends auf den Laden, als wir gegen halb elf Uhr nach dem Kino heimgingen. Ich hatte mir mein einziges Paar Seidenstrümpfe zerrissen und grübelte verzweifelt, wo ich für den nächsten Morgen ein anständiges Paar herbekommen konnte. «Ein Laden, der noch offen ist!» rief Dede plötzlich. «Vielleicht führen sie Strümpfe.»
Wir betraten die Occasionsquelle und blieben einige Minuten wartend stehen. Aber es schien niemand da zu sein. Die Ladentische verschwanden unter hochgetürmten Stapeln von Hüten, Unterwäsche, Seidenschals, Lederwaren, Männerjacken, billigem Tand, glänzenden Nachthemden und allem möglichen Zeug, doch es war kein Verkäufer zu sehen. Schließlich meinte ich nervös: «Vielleicht ist das Geschäft gar nicht mehr offen. Wer weiß, hier ist vielleicht eingebrochen worden, und die Diebe sind noch hier.»
«Keine Bange, es ist genug da für alle», erwiderte Dede unbekümmert. «Schau, ich habe ein Paar Strümpfe gefunden.»
Sie hatte unter einem Ladentisch gekramt und war mit Strümpfen in der Hand wieder aufgetaucht. Die Strümpfe waren so alt, daß sie knisterten wie Seidenpapier, und an den Bruchstellen waren sie verschossen. Ein Preis stand nicht daran. Dede ging zum Hintergrund des Ladens und rief «He!», und sofort tauchte vom neben der Türe ein kleines Männchen auf und fragte: «Was gefunden?» «Ja», sagte ich, «diese Strümpfe. Was kosten sie?» «Ein Dollah», gab er Auskunft. «Aber sie sind so alt und schon ganz brüchig.» «Ich geb Ihnen neue», erwiderte das Männchen. «Welche Größe?» «Zehn.» Er langte unter den Ladentisch, zog eine Schachtel hervor und reichte mir ein Paar wundervolle, hauchdünne Seidenstrümpfe. Ich zahlte ihm den verlangten «Dollah», und vergnügt verließen wir das sonderbare Geschäft.
Ein paar Tage später gingen wir zufällig wieder durch dieselbe Straße. Diesmal bediente uns eine alte Frau. Das heißt, sie bediente uns nicht, sondern stand abwartend im Hintergrund, während wir in Kleidern, Mänteln und Kostümen wühlten, die zwischen Männersachen im Hintergrund des Ladens aufgehängt waren und dem Raum das Ansehen einer überfüllten Garderobe verliehen. Nach einigem Herumwühlen stieß ich auf einen wunderbaren dreiviertellangen Schafsfellmantel mit kariertem Wollfutter. Das Prachtstück war mit 35 Dollar ausgezeichnet. Ich zeigte Dede meinen Fund, und sie meinte: «Wenn nicht die Initialen von jemand anders an sichtbarer Stelle angebracht sind, nimm das Ding.» Und das tat ich auch. «Was für einen eleganten Mantel hast du da!» rief jeder, der mich darin sah, und schuldbewußt, weil ich log, erwiderte ich: «Meine Tante hat ihn mir geschenkt.»
Unangenehm an der Occasionsquelle waren nur die riesigen, auffälligen Schachteln, in die einem die Waren gepackt wurden. Auf beiden Seiten der Schachteln prangte in weit leuchtenden goldenen Riesenbuchstaben Occasionsquelle , und wer nicht gerade blind war, konnte kilometerweit die Aufschrift lesen. Die Occasionsquelle liebten wir, die Schachteln aber haßten wir. Sie waren außerdem aus solch schlechtem, widerspenstigem Material gemacht, daß sie unweigerlich zerrissen, wenn wir auf der Straße versuchten, die Buchstabenseite nach innen zu stülpen.
Vor Mary hielten wir die Adresse der Occasionsquelle geheim, weil wir wußten, daß sie sich hundertmal mehr für die Hintergründe des Ladens als für die Waren interessieren würde. Aber Mutter führten wir im Triumph hin, und sie erstand einen grauen Tweedmantel mit einem Etikett «Made in England» innen am Ärmel und einer Füllfeder in der Tasche.
Mary brauchte die Occasionsquelle auch nicht so nötig. Sie hatte ihre eigene Methode, sich ohne Geld anzuziehen. Erstens einmal konnte sie sehr gut extravagante Sachen tragen. Sie standen ihr, und es machte ihr gar nichts, ein Kleid zu verlängern, indem sie einen breiten Gürtel aus anderem Material einsetzte. Mir hätten die Leute in einem solchen Fall «Du armes Ding» gesagt. Sie bekam nur zu hören: «Wie schick du aussiehst, Mary!»
Und
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