Between Love and Forever
wie gelähmt vor Angst, bis sie endlich wegging.
Es hat lange gedauert, bis ich den Mut aufbrachte, Mom wegen meinen Augen zu fragen. Mom sagte: »Ja, das stimmt, du hast wirklich die Augen deiner Großmutter.« Und dann fügte sie hinzu: »Warum fragst du?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Aber du bist nicht wie deine Großmutter«, sagte Mom, beugte sich zu mir herunter und strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Du bist wie dein Vater, nachdem er endlich gelernt hatte, er selbst zu sein, und auch dazu stehen konnte ...«
Mir war nicht wirklich klar, was sie mir damit sagen wollte, aber ich habe auch nicht nachgefragt. Ich nahm an, dass es mit Dads Bruder zusammenhing, der gestorbenist, als Dad an der Highschool war, und damit, dass Dad danach eine Weile von zu Hause wegging. Auf jeden Fall schloss ich aus den Kommentaren von Mom und Tess, dass es gute Gründe gab, warum meine Eltern so wenig über ihre Vergangenheit und ihre Herkunft redeten.
Trotzdem wollte ich weiterhin wie Tess sein. Ich träumte davon, ein Lächeln auf die Gesichter der Leute zu zaubern, so wie sie, und immer das Richtige zu sagen oder zu tun. Ich wollte dieses geheimnisvolle Etwas, das sie hatte, das ihr alle Herzen zufliegen ließ. Vielleicht hätte ich mich jemandem anvertrauen und über Tess’ dunkle Momente sprechen sollen, aber meine Eltern verloren kein Wort darüber und ich ... wer hätte mir denn geglaubt, wenn ich etwas gesagt hätte? Dann hätten doch alle gedacht, dass ich nur neidisch sei. Die unscheinbare kleine Schwester, die nie an die große heranreichen wird.
Und ich war ja auch eifersüchtig, klar. Abgesehen von diesen dunklen Momenten zu Hause hatte Tess einfach alles, was man sich nur wünschen konnte.
Aber dann wurde Claire schwanger, gleich am Anfang ihres Abschlussjahrs, und von da an hat Tess sich verändert ... Nicht an der Oberfläche, ihrer strahlenden Fassade, die sie jeden Tag der Welt präsentierte. Aber zu Hause, in der Familie, war sie anders. Stumm. Wütend. Umso mehr, als sie sich nur zu Hause so zeigen konnte. Wir haben praktisch mit einer tickenden Zeitbombe gelebt, mit einem Menschen, der ganz krank vor Wut und Hass war.
Von da an wollte ich nicht mehr wie sie sein.
Manchmal, besonders als Claire bereits mit einem dicken Babybauch herumlief und Tess auf ihre Collegezulassung wartete, lag sie einfach auf dem Bett und starrte an die Decke. Stundenlang.
Einmal sind wir Claire und ihrer Mutter im Supermarkt begegnet, als wir Hamburgerbrötchen für Mom einkaufen sollten. Tess hat Claire wie Luft behandelt, aber auf der ganzen Heimfahrt hat sie sich über sie ausgekotzt, mir ihren ganzen Hass vor die Füße gekippt. Sie hat so viel und so schnell geredet, dass ihr die Spucke aus dem Mund flog und Speichelfäden in ihren Mundwinkeln hingen, und dann fuhr sie sich so heftig durch die Haare, dass ganze Büschel dabei ausgingen.
Aber das war nicht das Schlimmste. Jedenfalls nicht für mich.
Am schlimmsten war der Sommerabend, als ich mit gebrochenem Herzen nach Hause kam – ja, wirklich, das gibt es, ich habe mir selbst das Herz gebrochen, mich selbst zerstört, obwohl ich es damals nicht begriffen habe ... Also jedenfalls saß Tess im Wohnzimmer, als ich kam.
Da saß sie, strahlend wie eh und je, und lächelte mich an, ein echtes Lächeln, ein atemberaubendes Tess-Lächeln, und sagte: »Abby? Bist du ... stimmt was nicht mit dir?« Und ihr Lächeln erlosch, als sie begriff, wie schlecht es mir ging.
»Nein, nichts«, sagte ich und hätte sie am liebsten umgebracht, die ganze Welt ausgelöscht, alles. Tess hattedoch keine Ahnung, wie ich mich fühlte. Ihr war ja noch nie was Schlimmes passiert.
»Okay«, sagte sie langsam, weil sie mir das natürlich nicht abkaufte, und dann nahm sie ihre Füße von der Couch, um mir Platz zu machen. »Willst du den Film hier mit mir anschauen? Aliens, die die Welt zerstören.«
Ich schaute auf den Bildschirm. »Was? Diesen Schrott guckst du dir an? Das hast du doch schon tausendmal gesehen.«
»Ja, ich weiß«, gab sie zu. »Aber ich kann den Kanal nicht wechseln. Und hey, du kannst mich auslachen, wenn ich Angst kriege.«
»Ich will aber nicht ...«
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte sie plötzlich. »Du musst mir nichts erzählen. Im Ernst – ich weiß es wirklich.«
Ich glaubte ihr nicht – ich hatte schließlich mein ganzes Leben lang mit angesehen, wie sie anderen das Herz brach, und nicht umgekehrt. Aber es klang so aufrichtig. Das war auch so
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