Beutewelt 04 - Die Gegenrevolution
schreckliche Nachricht und dieser blieb für einige Minuten mit weit aufgerissenen Augen fassungslos stehen. Frank wollte es zuerst nicht glauben und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Kurz darauf erfuhr es auch Bäumer, der ebenfalls ungläubig ins Leere starrte und schwieg. Ihr bester Freund aus Ivas war ermordet worden. Man hatte sein Leben in einem Örtchen, dessen Namen sie vorher noch niemals gehört hatten, einfach ausgelöscht. Irgendwo in Russland.
„Was zum Teufel heißt „ubogij“ denn?“, fragte Alf mürrisch und arbeitete sich durch den kyrillischen Text auf dem Computerbildschirm.
„Wieso?“, hörte er aus dem Nebenraum. Frank kam herein.
„Ich bin hier auf der Internetseite der kollektivistischen Vereinigung von Kursk. Hier steht etwas über den Mord an Sven!“
Kohlhaas warf einen Blick in sein digitales Wörterbuch auf dem DC-Stick und betrachtete dann ebenfalls den Bildschirm.
„Ubogij? Das bedeutet „verkrüppelt“. Da steht: „Hässliches, verkrüppeltes Rus-Schwein in Kromy erschossen!“. Diese verdammten Hunde!“, zischte er.
Kurz darauf übersetzte Frank noch einen Teil des Textes und las ihn seinem Freund vor: „Einige der reaktionären Hetzer Tschistokjows hatten sich der Illusion hingegeben, dass sie in unserer Stadt unbehelligt ihre Lügenpropaganda verbreiten können, und kamen nach Kromy.
Nachdem sie den halben Tag diverse Hetzschriften an Passanten verteilt hatten, bekamen sie die wohl verdiente Quittung für diese Frechheit. Ein paar kollektivistische Mitstreiter wollten sie zur Rede stellen, worauf es gegen Abend zu einer Rangelei mit den Rus kam. Es blieb unseren Leuten nichts anderes übrig, als sich mit den erforderlichen Mitteln gegen die Schlägerbande der Rus zu wehren.
Dabei wurden zwei Mitglieder der Freiheitsbewegung, darunter ein besonders hässliches Exemplar, das Artur Tschistokjow offenbar extra zu unserer Abschreckung nach Kromy geschickt hatte, tödlich verletzt. Dieser Vorfall ist dem reaktionären Pack hoffentlich eine Lehre, sich in Zukunft von unserer Stadt fern zu halten! Wir dulden keine Rus in Kromy! Nieder mit Artur Tschistokjow und seiner Lügenhetze!“
„Sie machen sich über die Ermordung Svens auch noch lustig!“, knurrte Bäumer und schloss die Internetseite wieder.
„Denen wird das Lachen schon noch vergehen! Wir sollten mit den Warägern nach Kromy fahren und ein paar von diesen Bastarden aufschlitzen!“, sagte Frank wütend.
„Vergiss es! Das wird Artur nicht zulassen. Die Waräger sind nicht für unsere persönliche Rache geschaffen worden …“
„Ja, ja!“, brummte Frank zurück und ging aus dem Zimmer.
Der Leichnam von Sven Weber war nach Ivas gebracht worden. Frank und Alfred hatten sich auf den Weg in ihr Heimatdorf gemacht, um ihrem Freund die letzte Ehre zu erweisen.
Es war ein trüber Morgen. Die beiden Rebellen hatten sich von einigen Bekannten Anzüge und Krawatten ausgeliehen, denn heute erwartete sie Svens Beerdigung. Eine unruhige Nacht hatte sie gequält und Frank war wieder einmal in hässlichen Gedanken und Trübsal versunken. Er hatte kaum ein Auge zugetan. Alf erging es nicht besser.
Zu traurig und verstört waren die beiden heute, um schon wieder Hass und Rachsucht empfinden zu können. Sie sahen Svens Gesicht wieder und wieder vor ihren geistigen Augen und meistens war es sein jugendliches, schönes Antlitz vor dem Kriegseinsatz in Japan.
Wilden klopfte an der Tür und holte sie ab. Julia und Agatha waren auch dabei und begrüßten sie verhalten. Alle machten sich schließlich mit schweren Schritten auf den Weg zum kleinen Friedhof außerhalb von Ivas. Dort erwartete sie fast das ganze Dorf und Hunderte von Mitstreitern aus Weißrussland, Russland und dem Baltikum, die Sven Weber im Laufe seiner unermüdlichen Aktivitäten kennen gelernt hatten. Artur Tschistokjow war auch dabei und schüttelte ihnen wortlos die Hände.
Irgendwo zwischen den Trauernden in ihren schwarzen Anzügen hörte man Svens Mutter und seinen Vater leise schluchzen. Dort lag er nun, in der mit Blumen geschmückten Holzkiste, der geliebte Sohn, kalt und tot, mit drei Einschusslöchern im Kopf.
Frank und Alfred hatten ihn gestern Abend noch einmal aufgebahrt in der alten Kirche von Ivas gesehen. Grau und blutleer ruhte der Freund in seinem Sarg und sein einziges Auge starrte glasig ins Nichts. Die erstarrten Hände waren auf die Brust des Toten gelegt worden, das getrocknete Blut an seiner Schläfe klebte noch
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