Beutewelt 05 - Bürgerkrieg 2038
nach Norden und forderte mit jedem Tag weitere Opfer.
Nachdem Dr. Tschekow Frank einen Fernseher ins Zimmer gestellt hatte, konnte dieser die furchterregenden Reportagen tagtäglich verfolgen. Allerdings wusste der junge Mann nicht genau, was er davon halten sollte. Hatte die Weltregierung eine biologische Waffe getestet, eine künstliche Seuche erzeugt oder hatte das Ganze doch natürliche Ursachen?
Er konnte sich die schrecklichen Ereignisse nicht erklären und auch die ihn liebevoll umsorgende russische Familie rätselte tagelang herum, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Was auch immer dort in Indien vor sich ging, die Seuche breitete sich wie ein Lauffeuer aus und raffte Millionen Menschen dahin. Der Weltpräsident trat in diesen Tagen mehrfach vor die Öffentlichkeit, tat erschüttert und kündigte Hilfsmaßnahmen durch den Weltverbund an. Frank hingegen hatte sein eigenes Leid zu ertragen und bemühte sich mit aller Kraft, wieder gesund zu werden.
Als der Sommer das kleine russische Dorf langsam erhellte und der Juni des Jahres 2039 gekommen war, lernte der General endlich den anderen Mann, der dank Dr. Tschekow und seinen Freunden ebenfalls gerettet worden war, kennen. Er hieß Nikolai und war etwa fünfzig Jahre alt.
Während Franks es geschafft hatte, die Treppe in die untere Etage mit Mühe und Not hinabzusteigen, konnte der Mann sein Krankenbett noch immer nicht verlassen. Er hatte einen Bauchschuss erlitten und war ebenfalls nur durch ein Wunder nicht sofort verblutet.
„Er kommt schon wieder auf die Beine, aber er ist nicht so zäh wie du“, hatte ihm der Arzt gestern erklärt. Frank hoffte für ihn das Beste.
Wenig später erzählte ihm sein Retter, dass Nikolai ein orthodoxer Priester gewesen war, den die Kollektivisten aufgrund seines offenen Glaubensbekenntnisses inhaftiert und ebenfalls grausam gefoltert hatten. Kohlhaas ging nun jeden Tag nach unten zu Nikolai. Er fand ihn direkt sympathisch, auch wenn er mit seinen starren Glaubensvorstellungen nicht immer etwas anfangen konnte.
„Ich habe die andere Seite gesehen!“, erklärte ihm der General und der Geistliche hörte seinen Ausführungen interessiert zu.
Als der Priester begriff, dass Frank „der“ Frank Kohlhaas aus Weißrussland war, fühlte er sich geehrt, wenn dieser zu ihm ans Bett kam. Tschistokjow und der Freiheitsbewegung stand Nikolai mit großer Sympathie gegenüber, auch wenn er die gewalttätige Vorgehensweise der Rus nicht befürwortete. Ähnlich sah es auch Dr. Tschekow, der im Grunde nur allen Menschen helfen wollte, wie er sagte. Von der Politik hielte er sich fern, betonte der Arzt, was aber nichts daran änderte, dass er die Kollektivisten hasste. Natürlich wusste er nun längst, wessen Leben er gerettet hatte. General Kohlhaas und seine Waräger waren auch jenseits der weißrussischen Grenze den meisten Russen ein Begriff.
Nach weiteren drei Wochen waren einige von Franks Wunden schon einigermaßen verheilt und er konnte sich in den verwilderten Garten vor dem Haus der Tschekows setzen. Bald war auch Nikolai so weit genesen, dass er ihm nun jeden Tag zumindest für kurze Zeit Gesellschaft leisten konnte.
Ansonsten achtete der Arzt akribisch darauf, dass die beiden Männer nicht von allzu vielen Nachbarn gesehen wurden, denn das Dorf Radmoj befand sich mitten in einem von den Kollektivisten kontrollierten Gebiet. Zwar hielt sich nach den Plünderungszügen der schwarz-roten Verbände die Sympathie der Landbevölkerung für Uljanin in Grenzen, aber man konnte nie wissen, ob sich ein anderer Dorfbewohner nicht doch mehr als nötig für die zwei fremden Männer im Hause der Tschekows interessierte.
Kohlhaas dachte oft darüber nach, Julia, Alf oder Wilden anzurufen, doch Dr. Tschekow riet ihm energisch davon ab. Der KKG zeichnete die Telefongespräche der Bürger grundsätzlich auf und vor allem im Bezug auf Wilden konnte sich der General nicht sicher sein, ob dieser Stillschweigen bewahren konnte. Sie würden es noch früh genug erfahren und Frank konnte seine Freude kaum in Worte fassen, wenn er darüber nachdachte, Julia irgendwann wieder in seinen Armen halten zu können.
In den letzten Wochen waren die Rus Stück für Stück weiter nach Westen zurückgedrängt worden und ihre Frontlinie schwankte zunehmend an allen Ecken. Alfred Bäumer hatte es mittlerweile nach Nowgorod verschlagen, denn große kollektivistische Verbände hatten sich nahe der Stadt versammelt, um sie langsam einzukesseln.
Uljanins
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