Beutewelt 05 - Bürgerkrieg 2038
beugte sich über den Verletzten.
„Lass ihn jetzt bitte in Ruhe, Ludmilla!“, tönte es aus dem Nebenraum.
Es sollte noch eine ganze Woche dauern, bis Frank überhaupt halbwegs ansprechbar war. Die Familie hatte ihn in der Zwischenzeit mit einem seltsamen Brei ernährt und damit zumindest ansatzweise gestärkt. Ansonsten fühlte sich Kohlhaas absolut elend und lag meistens mit geschlossenen Augen in dem verdunkelten Raum. Dieser Dr. Tschekow hatte ihm vier Projektile aus dem Körper entfernt. Zwei davon waren in seiner Schulter eingeschlagen, eines im Oberschenkel und das andere war direkt über dem Bauch zwischen zwei Rippen steckengeblieben.
Glücklichweise waren die Kugeln keine großen Kaliber gewesen und hatten keine lebenswichtigen Organe verletzt. Frank glaubte sich dunkel daran erinnern zu können, dass sein Nebenmann bei der Erschießung vor ihm zusammengesackt und leicht zur Seite gekippt war. Vermutlich hatte er die eine oder andere für ihn bestimmte Kugel mit seinem Körper abgefangen. Dem Verwundeten war bewusst, dass sein Überleben mehr als ein Wunder war.
Das plötzlich hereinbrechende Unwetter, welches das kollektivistische Erschießungskommando bei seiner blutigen Mordarbeit hatte nachlässig werden lassen, war wohl seine Rettung gewesen.
„Wir haben an diesem schrecklichen Morgen fünf Menschen auf dem Acker gefunden, die noch nicht ganz tot waren. Unten in einem anderen Zimmer ist noch jemand. Einer ist mittlerweile gestorben und die zwei anderen sind bei meinem Arztkollegen im Nachbardorf“, erklärte der väterlich wirkende Doktor seinem Patienten auf Russisch. Frank verstand ihn kaum und brummte nur leise.
„Danke!“, hauchte er und drehte seinen Kopf wieder weg.
„Diesen Beitrag konnte ich wenigstens leisten. Diese schwarz-roten Verbrecher sind der größte Fluch der russischen Geschichte“, meinte der Arzt.
Dr. Tschekow verließ wieder den Raum. Das kleine Mädchen lugte durch den Türspalt, lächelte und verschwand dann auch.
Während die Intensität der Kämpfe im russischen Bürgerkrieg weiter zunahm, lag Kohlhaas noch immer in Dr. Tschekows Haus und machte nach zwei Wochen den Anschein, dass er überleben würde. Seine Wunden, die täglich von dem fürsorglichen Arzt begutachtet und versorgt wurden, begannen langsam zu verheilen. Aus dem Bett aufstehen konnte der Verletzte allerdings noch lange nicht. Mittlerweile hatte er erfahren, dass er sich in einem Dorf namens Radmoj befand, etwa 17 Kilometer nördlich von Jaroslavl.
Manchmal kam das kleine Mädchen in sein Krankenzimmer herein, setzte sich mit einem bunten Kinderbuch an sein Bett und las ihm etwas auf Russisch vor. Das Meiste konnte Frank verstehen. Gelegentlich verscheuchte Dr. Tschekow seine neugierige Ludmilla, wenn er sie beim Vorlesen erwischte, und erklärte ihr mit ernster Miene, dass der Kranke seine Ruhe haben müsse.
Kohlhaas störten die putzigen Leseeinlagen der Kleinen allerdings keineswegs, im Gegenteil, sie waren oft die einzige Abwechslung, die er in diesen Tagen hatte. Der General betrachtete es als eine Fügung des Himmels, dass er noch unter den Lebenden weilte, und sicherlich hatte er damit auch nicht ganz Unrecht. Sein Retter, immerhin ein erfahrener Mediziner, sah es nämlich ähnlich. Die Schrecken der Gefangenschaft hatten Franks Geist jedoch erneut arg mitgenommen und häufig stellte er sich selbst die Frage, ob er noch ganz bei Verstand war. Finstere Visionen überfielen ihn im Schlaf, ebenso wie wirre Trugbilder, die ihm seine Auserwähltheit und Unsterblichkeit als Kriegsheld verkündeten. Manchmal sah er sich von grauenhaften Monstern umringt, die ihn hinab in die Hölle zogen, gelegentlich aber auch als gefeierter Recke, dem die Massen zujubelten. Nach und nach schärfte sich sein Verstand wieder, während sich Franks Körper ebenfalls regenerierte.
In Indien war derweil eine neuartige Epidemie ausgebrochen. Offenbar breitete sich ein unbekannter Erreger mit rasender Geschwindigkeit aus, wie die internationalen Medien berichteten. Vor allem der Süden des Landes versank im Chaos und angeblich waren bereits Dutzende Millionen Menschen mit einem tödlichen Virus infiziert. Der Panik folgten anarchistische Zustände, Hungersnöte und der komplette Zusammenbruch der ohnehin schon äußerst maroden Infrastruktur in den betroffenen Regionen.
Zwischen Mitte April und Anfang Mai waren bereits über elf Millionen Inder an der mysteriösen Seuche gestorben. Sie wanderte jetzt schrittweise
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