Beverly Barton, Hexenopfer
Ein Paar riesige Goldreifen an den Ohren. Und ihre Kellnerinnenuniform – dunkle Hose und weiße Bluse – umschmeichelte ihre schlanke, langbeinige Figur.
»Mir geht’s gut. Ich will zu Jazzy. Ich möchte ein Abendessen zum Mitnehmen bestellen.«
»Sie ist nicht in der Küche«, sagte Misty. »Sie ist in ihrem Büro.«
»Danke. Ich gebe meine Bestellung auf und schau dann kurz in Jazzys Büro rein.«
Genny wollte sich schon abwenden, doch bevor sie einen Schritt machen konnte, fragte Misty: »Holst du Essen für Jacob?«
Genny stöhnte leise auf. »Genau.«
»Ich nehme an, er wird heute Abend lange arbeiten, bei zwei Morden und so. Verdammte Scheiße, das mit Cindy Todd und Susie Richards. Wer hätte gedacht, dass so etwas hier in der Gegend passieren könnte.«
»Ja, Jacob arbeitet lange, und ich habe vor, mit ihm zu Abend zu essen, bevor ich nach Hause fahre.«
»Sag ihm einen schönen Gruß von Misty.«
»Mach ich.« Genny zwang sich zu einem Lächeln. Dabei hatte sie nichts gegen Misty, glaubte jedoch, dass Misty nicht die richtige Frau für Jacob war. Und Misty war nicht der Typ, der einfach aufgab.
Nachdem sie ihr Essen bei Gertie Walker bestellt hatte, der von Miss Ludie ausgebildeten Köchin vom Jasmine’s, ging Genny durch den hinteren Flur zu Jazzys Büro. Bevor sie die angelehnte Tür erreichte, vernahm sie Jazzys Stimme.
»Versuch bloß nicht, mich wiederzusehen«, sagte Jazzy. »Ich habe dir gestern Abend gesagt, dass ich nichts mit dir zu tun haben will. Nie wieder.«
Genny klopfte an die Tür, um Jazzy vorzuwarnen. Sonst wäre sie sich wie eine Lauscherin vorgekommen, obwohl Jazzy ihr bestimmt alles erzählen würde. Die beiden hatten keine Geheimnisse voreinander. Seit ihrer Kindheit hatten sie ihre ureigensten Gedanken und Gefühle ausgetauscht.
»Lass mich in Ruhe, verdammt!« Jazzy knallte den Hörer auf, schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. Sie schaute zur Tür und rief: »Herein.«
»Lass mich raten, wer am Telefon war.« Genny betrat das Büro und machte die Tür hinter sich zu.
»Er meint, wenn er mir nur weiterhin nachstellt, werde ich schließlich nachgeben.« Jazzy kam zu Genny und umarmte sie. »Was machst du in der Stadt? Ich habe heute ein paar Mal vergeblich versucht, dich telefonisch zu erreichen. Vermutlich sind die Leitungen unterbrochen.«
»Ich habe jemanden in die Stadt gebracht, der zu Jacob wollte.«
Jazzy schaute Genny fragend an.
»Er heißt Dallas Sloan, ist FBI-Agent, und sein Wagen ist gestern Abend nicht weit von meinem Haus in einen Graben geschliddert.«
»Das FBI ist eingeschaltet?«
»Nicht offiziell.«
»Das versteh ich nicht.«
»Dallas’ Nichte wurde auf ähnliche Weise ermordet wie Susie Richards und Cindy Todd. Vor knapp einem Jahr in Mobile.«
Jazzy rieb sich ihre Arme. »Diese ganze Geschichte mit einem Kerl da draußen, der Frauen aus Cherokee County als Opferlämmer benutzt, jagt mir eine höllische Angst ein.« Jazzy betrachtete Genny einen Moment lang und sagte dann: »Du nennst diesen Kerl beim Vornamen. Das ging aber schnell. Und wo hat er die vergangene Nacht verbracht?«
Unwillkürlich zuckten Gennys Lippen und brachten fast ein Lächeln zustande. »Er hat bei mir übernachtet, in einem Gästezimmer. Und es ist merkwürdig, aber … ich habe das Gefühl, als würde ich ihn kennen, schon immer.«
»O-oh. Lass mich raten – er ist groß, dunkel, gefährlich und sieht umwerfend gut aus.«
Genny lachte. »Er ist groß, blond, sieht umwerfend aus und« – ihre Miene wurde ernst – »leidet innerlich.«
»Du hast etwas für ihn übrig, nicht wahr?« Jazzy packte Genny an den Schultern und schüttelte sie spielerisch. »War es Liebe auf den ersten Blick?«
»Sei nicht albern. Niemand ist verliebt. Wir fühlen uns lediglich zueinander hingezogen«, gab Genny zu. »Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass er ein Problem mit meinem … meinem sechsten Sinn hat.«
»Er weiß, dass du …«
»Ich hatte wieder eine Vision … eine Vorahnung von Cindys Tod. Nur wusste ich nicht, dass es Cindy war.«
»Mein Gott, Gen, wie hast du das allein geschafft – oh, du warst ja nicht allein, oder? Dieser Dallas war bei dir.«
»Er war sehr nett, aber er hat nicht begriffen, warum ich so erschöpft war oder warum ich so etwas sagte. Ich glaube, er hält mich entweder für verrückt oder für eine Schwindlerin.«
»Aber er fühlt sich zu dir hingezogen?«
»Das weiß ich nicht.« Genny schüttelte den Kopf.
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