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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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sie auf, zieht die Schuhe aus und steckt ihre Bluse im Rock fest. »Wollen wir ein bisschen springen?«
    »Eigentlich geh ich da nicht drauf, das ist von den Verantwortlichen«, sagt Marie.
    »Gerade dann«, sagt Greta. »Du solltest alles tun, was du willst. Du solltest ihr schlechtes Gewissen ausnutzen. Wenn du Lust hast zu springen, dann spring, wenn nicht, lass es und iss ein kostenloses Würstchen oder besser noch zwei. Es wird nicht lange dauern, Marie, bis sie uns vergessen haben und jedes Schuldgefühl. So lange musst du es nutzen, verstanden?« Greta klettert ins Hüpfschloss und springt.
    »Komm her!«, ruft sie. »Das ist wunderbar!« Marie streift ihre Turnschuhe ab, stellt sie ordentlich vor das Schloss, wirft noch einen letzten Blick in Richtung Landstraße, grinst demonstrativ unbesorgt ihrer Mutter zu und springt dann zu Greta, bei jedem Sprung stößt sie sich so fest sie kann vom
Gummiboden ab. Sie wird es nutzen, das schlechte Gewissen, auch wenn das nicht reicht.
    »Die sind hier völlig verrückt«, sagt einer der Besucher und beißt in sein Bockwurstbrötchen. »Aber Lust zu hüpfen hätte ich auch.«
    »Lass mal«, sagt einer seiner Freunde. »Lass das mal denen, die brauchen das jetzt.« Der Besucher zeigt seinem Freund einen Vogel, verzichtet aber aufs Hüpfen im Schloss. Stattdessen holt er sich noch eine dieser großartigen Würste mit extra viel Senf.
    »Gut, dass wir noch hergefahren sind«, sagt er und seine Freunde nicken. Einer von ihnen ist Hobbyfotograf, der hat alles im Blick. Zum Beispiel macht er ein Bild von der springenden Alten und dem Kind und freut sich über die metaphorische Spannweite zwischen den beiden.
    »Sie sind irgendwie ein Symbol für das alles«, sagt der Fotograf und sieht seine Freunde bedeutungsvoll an. »Spürt ihr das?« Alle nicken. Sie sind dabei, hier wird Geschichte geschrieben, hier gibt es einen Umbruch im übersichtlichen Kleinformat.
    »Das ist groß«, sagt der Fotograf und nimmt sich vor, das Bild einzuschicken zu einem Wettbewerb.
    Hinten beim Bierzelt dreht Clara die Musik wieder lauter, sie beginnt zu tanzen, um kurz vor vier, dabei war das erst für den Einbruch der Dunkelheit geplant. Clara tanzt zu wilder Musik quer über den Platz, tanzt um den blühenden Stumpf der Linde und um das Bierzelt herum, an der Stelle vorbei, an der einmal das Tore stand, und um das frühere Fundament des Hauses Salamander. Clara stößt Menschen an, schubst im Tanz ein paar Neugierige in Richtung der Baustelle und einen Gelbhelm zurück auf den Parkplatz. Niemand greift ein, keiner versucht sie aufzuhalten und keiner rät ihr, sich Marie zuliebe zusammenzureißen.
    »Manchmal muss Tanzen sein«, sagt Eleni zu Wacho, und
der nickt, als wüsste er das. Clara bleibt erst stehen, als Jula mit dem Vogelmann auf den Hauptplatz tritt, der heute ein Festplatz ist.
    Jula beachtet Clara nicht, die ist ihr egal, wichtig ist ihre Mutter, ist Jules, der ist nicht hier, aber da drüben neben Wacho steht Eleni, und zu der zieht sie ihn jetzt, ihren ersten richtigen Freund, soll Clara doch gucken. Jula beißt sich auf die Unterlippe, das hat sie vom Vogelmann, der beißt sich auch, oder von Jules.
    »Wir können das auch lassen«, sagt er. »Du musst mich nicht vorstellen, ist doch egal. Wir hauen einfach ab, und dann hat mich nie jemand mit dir in Zusammenhang gebracht, und keiner weiß was von mir, und deine Leute sind dir nicht böse.«
    »Meine Leute?«, fragt Jula, er nickt und Jula bleibt stehen, hält ihn fest. Er hat recht: Sie gucken alle, und auch Eleni hat sie entdeckt. Es fühlt sich nicht gut an, sich selbst zu verbannen, und verbannen werden sie Jula, und zwar nicht nur von hier, sondern auch aus dem neuen Ort. Julas Verrat wird der schlimmste sein. Man wird über sie sprechen, darüber reden, dass sie zuerst eine riesengroße Klappe gehabt hat und dann dem erstbesten Gelbhelm um den Hals gefallen ist. Er war nicht der erstbeste, der Vogelmann ist der beste, aber das weiß niemand außer ihr.
    Bald sind sie ohnehin weg. Sie kann dafür sorgen, in guter Erinnerung zu bleiben, sie kann Eleni die Verteidigung ersparen. Wie dramatisch ist das alles im Moment? Jula steckt sich eine Zigarette an, er streckt die Hand aus, er will wohl auch, aber sie tut so, als würde sie das nicht merken.
    »Jula«, sagt er und streicht mit dem Zeigefinger über ihre Wange. Sie stößt ihn weg, ein Reflex, sie hat nicht nachgedacht. Ihr linker Arm hat entschieden, wie das Ganze auszugehen

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