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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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ihr steht.
    »Marie, willst du tanzen?«, fragt Jula und Marie strahlt. Jula tanzt mit Marie zu Musik, die sie nicht kennen, die aber laut und kräftig genug ist, um sie beide aufzufangen.
    »Ich mag Feste«, sagt Marie. »Und Hüpfschlösser.«
    »Ich auch«, sagt Jula, und es stimmt, sie mag dieses Fest und sie freut sich auf sein Ende, wenn alles hinter ihnen liegt.
     
    Das Fest ist ein voller Erfolg, das Geld soll dem Denkmal zugutekommen, das die ehemals ortsansässige Künstlerin aus dem Holz der Linde schnitzen wird. Den Stamm hat sie schon, jetzt müssen sie die Frau auch noch über Wasser halten, bis die das Kunstwerk für sie vollendet hat.
    »Leute, trinkt und esst für die Erinnerungskultur«, grölt der Verantwortliche, der sich rote Wangen und eine abendglühende Nase angefeiert hat. Die Zeit ist vergangen, wie hier jeder Tag vergeht, seit der Ort keine Grenzen mehr hat: Jemand hat die Stunden wegradiert, und nun hocken sie da in den lauwarmen Resten des Tages herum, morgen ist es erst nach dem Aufstehen, sie ahnen die Dämmerung, die bereits hinten am Staudamm lungert.
    Robert ist nicht zurückgekommen, aber er hat Clara angerufen, wahrscheinlich während die wild tanzte, sie hat eine Nachricht von ihm auf der Mailbox, die sie seit Stunden versucht abzuhören. Clara hat Marie mehrmals versichert, dass Robert auf sie wartet im neuen Haus, dass sein Abgang keine feige Flucht war, sondern eine weise Entscheidung. Keiner der anderen widerspricht ihr. Jetzt schläft Marie auf Claras Schoß, Clara lehnt an Gretas Schulter, Greta hält Elenis Hand und Eleni sieht Wacho nicht an, der neben ihr sitzt und mit dem Bein wippt.
    »Na gut«, sagt Eleni. »Das war doch ganz schön.« Die anderen nicken. »Was machen wir jetzt«, fragt sie. »Wer hat Lust, mit mir baden zu gehen?«
    »Bist du verrückt«, sagt Clara und steht vorsichtig auf. »Ich geh doch jetzt nicht schwimmen. Wenn ich jetzt schwimmen gehe, steht das morgen in der Zeitung, und zwar mit der Bildunterschrift Selbstmordversuch .«
    »Sollen wir trinken auf diese beschissene Erinnerungskultur?«, ruft Clara. »Sollen wir uns den etwa zurücksaufen, diesen beknackten Baumstamm? Jeden getürmten Feigling?« Clara wird laut, und Marie windet sich in den Armen ihrer Mutter, Clara reißt sich zusammen.
    »Schlaf, Marie«, sagt sie sanft, während sie den Verantwortlichen ins Visier nimmt.
    »Der Stamm wird Ihnen helfen«, sagt der Verantwortliche leise und überaus rücksichtsvoll, vermutlich hat er selbst Kin
der, und man muss es ihm lassen, er ist immer noch hier, auch nachdem seine Kollegen verschwunden sind und niemand mehr da ist, der ihm beistehen könnte, im Falle eines Angriffs der Einheimischen.
    »Später hilft es sehr, wenn man etwas hat, das man ansehen und an das man sich erinnern kann. Genauso wie der Name für den neuen Ort, Sie sollten das Angebot annehmen, auch das hilft«, flüstert er.
    »Wie wäre es, wenn Sie uns diesen Ort gelassen hätten«, zischt Clara.
    »Das stand nie zur Debatte und war leider nicht möglich«, sagt der Verantwortliche und greift sich das letzte Würstchen vom lange erkalteten Grill. »Möchte noch wer?«, fragt er und hält das Würstchen in die Luft.
    »Nein danke«, sagt Greta stellvertretend für alle.
    »Dann geh ich mal«, zischt Clara und drückt das, was sie von Gretas Hand erwischt. »Gute Nacht, ihr Lieben, macht nicht zu lang.« Sie lächelt alle an außer den Verantwortlichen, den selbstverständlich nicht.
    »Clara«, sagt Eleni. »Wie lange bleibt ihr noch, du und Marie?« Clara hält inne.
    »Kommt darauf an«, sagt sie dann, aber sie sagt nicht worauf, und niemand fragt nach, und sie geht mit Marie in Richtung Rathaus. Das wird in einer Woche abgerissen, und zwar dieses Mal definitiv, sein Abriss wird das Signal sein, das alle zur endgültigen Abreise auffordert.
    Sie sitzen eine Weile schweigend, die Musik ist aus, die Lichterketten leuchten noch.
    »Na ja«, sagt Wacho und: »Da sitzen wir nun. Übrigens: David ist weg.« Eleni und Greta sagen dazu nichts, verbuchen es als eine von Wachos Halluzinationen, der Verantwortliche rührt sich, er gehört zu den letzten Pfadfindern am Feuer, er fühlt sich zugehörig genug, um eine Frage zu stellen:
    »Wer ist David?«
    »Sein Sohn«, sagt Greta. »Nur sein Sohn.« Wacho nickt und muss mit einem Mal grinsen.
    »Alles in Ordnung?«, fragt der Verantwortliche. Man stellt seltsame Fragen dieser Tage, und weder Eleni noch Greta, noch Wacho antworten

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