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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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mir in die Augen, David«, und David sagt, »Ich versprech's«. Wacho nickt zufrieden, und David sagt, dass sie bald kein Geld mehr haben, das auf seinem Konto reiche nur noch für wenige Monate. Wacho nickt, als wüsste er das, als hätte er irgendeinen Überblick, dabei hat er den längst verloren.
    »Das wird schon«, sagt Wacho. »Das findet sich.«
    »Lass mich wieder arbeiten«, sagt David und wartet darauf, dass Wacho ausrastet, ihn verdächtigt, sich aus dem Staub machen zu wollen.
    »Nein«, sagt Wacho ruhig, einfach nur »Nein«, und David nickt und probiert etwas anderes aus, etwas, das wirken muss wie ein Friedensangebot, wie ein Weitermachen, wie Resignation. David sagt, dass er das Album angucken möchte, das mit den Bildern von früher.
    David hat noch keinen Plan. Seit jener Nacht, in der sie versucht haben, die Striche von den Häusern zu wischen, hat der Ort sich von ihm entfernt oder umgekehrt. So schlimm war es noch nie und vor allem nicht öffentlich. Er ist in den letzten Tagen in seinem Zimmer geblieben, hat vom Fenster aus nach Milo Ausschau gehalten, er hat sich ganz auf Milo konzentriert und es nicht geschafft: ihn so zu sehen wie am ersten Tag, dem Tag, an dem die farblosen Verantwortlichen kamen, dem Tag, an dem Mona erst ihr Herz verlor, dann ihre Brille und schließlich das Bewusstsein. David weiß, dass es mehr braucht, um bei Milo zu sein, mehr als nur ein bisschen Wünschen und Träumen. Er muss sich konzentrieren, aber immer wieder ist da Wacho in seinem Kopf, in seinem Zimmer, er lauert hinter jeder Ecke, sein Vater versperrt David die Wohnungstür. Und so bleibt nur das Fenster, der Blick, eine Vorstellung.
     
    »Bitte, bitte, bitte!«
    »Nein.«
    »Bitte.«
    »Nein.«
    »Bitte!«
    »Marie!«
    »Papa?«
    »Nein.«
    »Bitte.«
    Zu Roberts Glück taucht jetzt Jula auf, die Heldin seiner Tochter, heute allerdings derangiert, mit wirrem Haar, schmutzigen Händen und einem blutigen Loch in der Hose.
    »Monster?«, fragt Marie. Jula bleibt vor ihnen stehen, lächelt nicht, aber das ist nichts Neues. Vielleicht verstehen sich Marie und Jula deshalb so gut, beide bemühen sich nicht, zu gefallen, und lassen sich auch voneinander nicht irritieren. Oder, überlegt Robert, oder Jula ist schuld daran, dass seine Tochter so ein seltsamer Mensch geworden ist, vielleicht hätte man Marie ein anderes Vorbild anbieten sollen. Ihn selbst zum Beispiel. Oder besser nicht.
    »Ja, das war ein Monster«, hört er Jula sagen, und Robert erwartet schlaflose Nächte, mindestens vier, mit einem alpträumenden Kind im Bett und einer schlecht gelaunten Clara am Morgen und mit Ringen unter den Augen und ohne Text auf der Bühne, weil in seinem müden Gehirn immer alles durcheinandergerät.
    »Jula«, sagt Robert und: »Bitte nicht.«
    »Marie sollte das wissen«, sagt Jula. Schwach schüttelt Robert den Kopf, er kann sie ohnehin von nichts abhalten, er kann niemanden von nichts abhalten, er hat zum Beispiel vor knapp einer Stunde seine Tochter etwa dreihundert Gramm Kakaopulver in circa fünfundneunzig Milliliter Milch rühren und dann esslöffelweise in sich hineinschaufeln lassen. Was kann er schon gegen diese seltsame Jula ausrichten? Die sich
nicht einmal durch den Glassarg aus der Fassung bringen lässt. Robert wird den Schaden begrenzen, er wird Marie heute Nacht trösten. Er wird behaupten, das alles sei nicht wahr, das mit den Monstern da draußen und was immer Jula ihr gleich noch alles erzählt. Jula sinkt bereits in die Knie, begibt sich auf Kinderaugenhöhe.
    »Die Wahrheit ist, dass da draußen hinter der letzten Häuserzeile, gleich hinter dem Schild, eine riesengroße Mauer gebaut wird«, sagt Jula.
    »Weiß ich doch«, sagt Marie.
    »Und die Wahrheit ist, dass es das alles hier bald nicht mehr gibt.« Jula zeigt einmal rund um den Hauptplatz, und Marie runzelt die Stirn.
    »Uns auch nicht?«
    »Nicht mehr hier«, sagt Jula. »Im Juni ist alles weg.«
    »Das ist nicht so schlimm«, sagt Marie. »Aber was ist mit den Monstern?« Robert tätschelt seiner Tochter den Kopf. Das ist nicht schlecht: Der bevorstehende Untergang macht Marie keine Angst. Die Realität kann ihr also nichts anhaben, das ist für ihn als Vater zunächst einmal sehr beruhigend. Zumal er in der Abwehr von Monstern erfahren ist.
    »Die Monster machen alles weg«, sagt Jula.
    »Dann macht Papa die Monster weg«, sagt Marie, und Robert grinst in eine Träne hinein.
    »Dann soll er das mal machen«, sagt Jula und steht auf.

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