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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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»Viel Glück«, sagt sie, klopft einmal auf den gläsernen Sarkophag und geht in Richtung der Bäckerei ab.
    »Darf ich noch mal gucken?«, fragt Marie, die nichts und niemand von ihren Wünschen ablenken kann. Robert hebt sie hoch, setzt sie auf dem Glas über der neuen Welt ab. »Da bin ich«, sagt Marie und deutet auf einen der übervorsichtigen Schwimmer. »Und das bist du«, sagt sie und setzt einen fettigen Kakaofleck genau auf die Stelle, unter der ein melancholischer Angler am Ufer sitzt.
     
    Es gibt nur noch wenige gute Briefe. Die meisten Umschläge, die Jules morgens in die Kästen wirft, sind aus grauem Altpapier, sie werden automatisch frankiert, ihre Absender sind Banken, Krankenkassen und das Finanzamt. Ab und zu gibt's bunte Post mit echten Briefmarken von irgendeiner Oma und meistens ist sie dann adressiert an Marie Schnee, manchmal an Leon und an Mia, Pauls Großeltern leben bereits im neuen Ort; sie schreiben ihm nicht.
    Heute hat Jules nur Grau in der Umhängetasche und wenig Lust, seine Runde zu machen. Die Mittagspause ist nicht mehr das, was sie einmal war, ein Zusammensein mit Jula. Sie ist immer noch böse auf ihn, damit hört sie nicht auf, und er ist nicht in der Lage, das wiedergutzumachen, die Sache neulich, die alberne Putzaktion, bei der er nicht mitgemacht hat. Jules geht trotzdem in die Bäckerei, knallt dort trotz Verbots ein paar Werbeanschreiben auf die Theke. Jula stemmt die Hände in die Hüften, wenn sie das macht, sieht sie aus wie Eleni und nicht wie Jules' Zwilling. Jules mustert sie von oben bis unten, verzweifelt ist er auf der Suche nach etwas, das Nähe bringen kann.
    »Du hast meine Hose an.« Schwacher Versuch.
    »Die hat jetzt ein Loch«, sagt Jula und: »Tut mir leid.«
    »Dafür bekomme ich dein Fahrrad«, sagt Jules, damit das Gespräch weitergeht, notfalls als Streit. Jula gönnt ihm nur ein Zischen.
    »Quatsch nicht.«
    »Was machst du nachher?«, fragt Jules. Jula sieht sich nach ihrer Mutter um, Eleni ist nicht da, wahrscheinlich steckt sie wieder im Ofen fest, seit jenem Blumenstraußtag stimmt da irgendwas nicht, Hörnchen verschwinden, Rauch steigt auf, der Ofen knarrt und manchmal hört sich das an wie ferne Stimmen, wie die Übertragung einer hitzigen Diskussion aus dem Jenseits. Jula kommt um die Theke herum, liest seine Gedanken, sagt, dass Eleni nicht hier sei, wie so oft in letzter Zeit,
und Jules sagt nichts mehr zu dem Loch in der Hose, nichts zu dem Blut auf dem Knie. Jula sieht ihn herausfordernd an.
    »Ich werde noch ein paar Beschwerden schreiben. Und vielleicht gehe ich danach noch zur Baustelle und seh' nach, was sich machen lässt.« Jules geht nicht darauf ein, es fällt ihm schwer, er sieht an Jula vorbei an die Wand, auf die Ährenkränze, die wohl noch aus dem Mittelalter stammen. Jula steht dicht neben ihm.
    »Du kannst ja noch mal überlegen, ob du doch mitkommst.« Jules macht einen Schritt zurück.
    »Das hat keinen Sinn, wie gesagt.«
    »Okay«, sagt Jula und: »Ich muss jetzt weitermachen. Hast du Post?« Jules schüttelt den Kopf. »Nimm die Prospekte wieder mit oder schmeiß sie da vorn weg, sonst ist Mama genervt, und darauf habe ich keine Lust, ich arbeite heute bis abends.« Jules nickt, aber die Prospekte lässt er liegen. Jula steht eh nur rum, soll sie die Werbung doch selbst verschwinden lassen. Als er die Tür hinter sich schließt, knallt irgendetwas an die Glasscheibe. Er dreht sich nicht um, wahrscheinlich sind es die Prospekte, und wenn nicht die, dann vielleicht Jula, die sich in einen Papiervogel verwandelt hat, nur um ihn zu beeindrucken. Das will er beides nicht sehen müssen, weder die Prospekte noch seine Schwester, die müde die Scheibe hinuntergleitet.
    Jules läuft den gewohnten Weg um den Hauptplatz herum, wirft ein, was einzuwerfen ist, klatscht lustlos an der Linde ab und geht dann zum Glassarg in der Mitte des Platzes. Er beugt sich über das Modell. Auf dem Glas klebt etwas, Dreck oder Blut.
    Jules kratzt darüber, aber seine Nägel sind frisch geknipst, mit Spucke will er es nicht versuchen, und eigentlich gefällt ihm die Blutwolke gut. Er blickt auf den See, trotz fehlendem Sonnenlicht glitzert das Wasser, sie müssen irgendetwas in die Farbe getan haben. Jules bekommt Lust zu schwimmen,
aber hier gibt es nur die Traufe und es ist noch viel zu kalt, und seit ein paar Jahren gruselt es ihn vor dem, was in der Tiefe des Flusses auf ihn warten könnte.
    Die Traufe ist schlimmer als der Ofen in der

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