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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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Mona.
    »Das bist du«, sagt Jules und donnert mit der Faust aufs Glas, genau auf die Wolke.
    »Ich bin hier«, sagt Mona, zeigt auf sich, folgt ihrem Körper mit dem Finger bis zum Boden hinab. »Und ich habe so einiges zu tun. Zum Beispiel muss ich Schwefel besorgen und Pech.«
    »Zur Verteidigung?«, fragt Jules, und Mona sieht ihn mitleidig an, streckt sogar die Hand aus, will sie ihm auf die Wange legen, diese gelblichen, diese schwieligen Finger, die schon wer-weiß-was berührt haben. »Verpiss dich!«, sagt Jules und weicht selbst einen Schritt zurück. »Oder ich bringe dich um.« Mona ist verrückt, sie lächelt ihn an. Sie lächelt ihn an, weil er ihr sagt, dass er sie umbringen wird. Mona lächelt wahnsinnig, aber auch sehr schön.
    »Du erinnerst mich an jemanden«, sagt Mona, da ist jetzt ein Glänzen in ihren Augen. »Du erinnerst mich an jemanden, den ich sehr mag, mochte«, sagt Mona, und plötzlich beugt sie sich vor, drückt ihm einen Kuss auf die Wange, streicht eine
Strähne von seiner Stirn, haucht feucht auf seine Haut: »Keine Angst, mein Lieber. Ich warte auf einen Mann. Er hat eine schlechte Nachricht gebracht, aber wenn er zurückkommt, wird er es wiedergutmachen. Alles wird gut sein, daran musst du glauben. Dafür musst du dich entscheiden, unbedingt.« Und dann läuft Mona weg in Richtung ihres krummen Hauses: Schwefel kochen, Pech und Hexenbrühe.
     
    Im Rathaus wirft Wacho sich gegen die Tür, er brüllt und heult, er fleht David an, bei ihm zu bleiben. Er sagt ihm, dass es nichts bringt, die Tür von innen zu versperren, sich anderswohin zu wünschen oder zu einem anderen Menschen, nichts hilft etwas, sie können nur abwarten und hoffen und versuchen, sich zu erinnern, an das Gute, und zwar gemeinsam.
    »Es wird niemand für dich allein kommen, niemand nur für dich«, presst Wacho durch das Holz der Tür. »Nur für uns beide, für uns wird sie zurückkommen.« Wacho knallt das Fotoalbum auf den Boden, dass David ihn damit weggelockt hat, mit dem Vorwand, sich die Bilder zusammen mit ihm anschauen zu wollen, das ist das Schlimmste.
    »Wenn du so anfängst, mein Lieber, dann war's das, dann brechen jetzt andere Zeiten an«, ruft Wacho, und auf der anderen Seite der Tür steht David vor dem Fenster und hält sich die Ohren zu. Jeder Muskel seines Körpers ist angespannt und alles konzentriert sich darin auf Milo. Es ist ihm egal, was Wacho dafür mit ihm anstellt, David holt sich jetzt sein Leben, er holt sich Milo zurück.
     
    »Was sollte das denn?«, fragt über Jules, der vor dem Glassarg auf dem kalten Boden hockt, eine Stimme. Robert Schnee ist das, aus einer Zigarettenpause macht der einen Auftritt.
    »Keine Ahnung«, sagt Jules, der nicht als Stichwortgeber fungieren will, der gar nichts will heute und schon gar nicht mit Robert sprechen.
    »Warum küsst sie dich?« Jules antwortet nicht, skeptisch mustert er Robert von unten. Der ist auffälliger als sonst. Er trägt ein seltsames Kostüm.
    »Ein Bauarbeiter«, sagt Robert, als würde das irgendetwas erklären, und als Jules nichts sagt, fügt er hinzu: »Symbolistisch, sozusagen.«
    »Verstehe ich nicht«, sagt Jules, der seine Ruhe haben will, das alberne Kostüm interessiert ihn nicht. Jules will, dass Robert wieder verschwindet. Aber Robert lässt sich nicht vertreiben, Robert wittert eine Chance, auf sein Proteststück aufmerksam zu machen.
    »Ich deute nur an, mein Kostüm verweist auf die verschiedensten Epochen großer Umwälzungen, ich meine, großer Zerstörer. Die Tunika zum Beispiel, an wen erinnert die dich?«, fragt er aufgeregt.
    »Was weiß ich. Cäsar?«
    »Fast«, sagt Robert, schlägt den roten Umhang über seine Schulter und geht neben Jules in die Hocke wie vor einem kleinen Kind, wie vor Marie. Dass er Jules den Rauch seiner Zigarette direkt ins Gesicht bläst, kümmert ihn nicht. »Na, wer bin ich?«, fragt Robert, lockend spricht er und ein wenig wahnsinnig, aber das kann auch eine Rolle sein, bei Robert ist es im Zweifelsfall und im Notfall immer eine Rolle. »Nun sag schon«, drängt Robert. Jules ist froh, dass es unzählige Fluchtwege gibt, und schüttelt den Kopf.
    »Ich weiß nicht, tut mir leid.«
    »Junge, Junge, was hat man euch nur beigebracht, Nero?«, brüllt Robert, und Jules rutscht ungewollt weiter nach hinten, bis er an den Sockel des Modells stößt. »Na, Nero natürlich. Ist doch ganz klar. Also echt!«
    »Stimmt«, sagt Jules. Er will aufstehen, aber in dem Moment, in dem er sich

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