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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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Backstube, die Traufe führt Böses im Schilde, sie will nicht verschlungen werden, sie will nicht im See verschwinden, sie tobt und schreit. Jules zieht seinen Finger von Boot zu Boot und zur Fähre, zum Ufer und dann in Richtung des Liebespaars. Seine Fingerkuppe muss auf die beiden wirken wie ein Planet. Der fliegt erbarmungslos und ungebremst auf ihre rosarote Welt zu. Jules spielt nahender Weltuntergang.
    Mit sieben wollten Jula und Jules Astronauten werden. Jules ist kurz davor, laute Fluggeräusche von sich zu geben, als er sich daran erinnert, dass es mitten am Tag ist und er also sichtbar. Er hält den Mund und fährt auf entgleisten Bahnen seinen Planetenfinger über den Himmel der Miniaturwelt. Dabei passt er auf, nicht über die gläserne Wand zu rutschen. Jules kann sich alles Mögliche vorstellen, unter anderem wie er mit seinem Finger den Lauf des Universums beeinflusst. Er will die vorhandene Welt nicht aus den Bahnen schleudern, sein Angriff gilt allein den fremden Urlaubern auf der linken Seite des Modells, denen, die sich da festgesetzt haben, wo gewöhnlicherweise das Herz sitzt, da, wo sie absolut nichts verloren haben. Jules verbreitet Angst und Schrecken und lobt in Gedanken denjenigen, der mit dem Blutfleck den gläsernen Himmel über dem Angler getrübt hat. Dann steht mit einem Mal Mona hinter ihm.
    »Es ist nicht mehr viel Zeit«, flüstert sie.
    »Wie meinst du das?«, fragt Jules und dreht sich um. Mona trägt ihr orangefarbenes Ausgehkleid, es spannt über dem runden Bauch und an den Seiten steht es in Rollen. Auf ihrem Kopf sitzt der sogenannte Ascot-Hut. Sie sieht albern aus, ein bisschen traurig, und sie schielt, die Brille ist immer noch nicht repariert, und eigentlich müsste sie frieren.
    »Wie meinst du das?«, fragt er noch einmal.
    »Ach lass«, sagt Mona.
    »Nein.« Sie zwirbelt den graumelierten Gürtel ihres Mantels und Jules muss an David denken, an Eleni, seine Mutter, und daran, wie sie alle immer an irgendetwas herumfummeln, als ob sie so die Welt in die Finger bekommen würden und damit in den Griff. Können sie nicht, weiß Jules. Das kann niemand. Mona schüttelt den Kopf.
    »Wir werden alle untergehen.« Jules weiß das, so wie alle es wissen, insgeheim ist er sehr verstört von dieser Tatsache. Man spricht darüber, ohne sich betroffen zu fühlen, sie reden über den Untergang wie über einen schlechten Kinofilm. Es betrifft sie noch nicht wirklich, trotz der Zeichen an den Häusern, trotz der Rodung, die nur das kleine vergessene Waldstück am Friedhof überstanden hat, und eben die Linde auf dem Hauptplatz.
    »Die dürfen das nicht«, sagt Mona. Ihr Kopf bewegt sich pausenlos, ihr Blick ist starr, das Gesicht angespannt, und Jules denkt an dieses Aufziehhündchen, das er oder Jula oder sie beide einmal besessen haben. Es ist immer geradeaus gelaufen, hat mit dem Schwanz gewedelt und den Kopf hin und her bewegt und dabei hat es quietschende Geräusche von sich gegeben, die wohl ein Bellen sein sollten. Beim kleinsten Hindernis, bei einer verzogenen Diele, einem Bleistift auf dem Boden, war das Vieh umgekippt, hatte seitlich liegend mit den Beinen gestrampelt. Ob Mona schon seitlich liegt oder noch geradeaus läuft, ist für Jules die einzige Frage, die sich stellt.
    »Guck mal, hier ist eine Blutwolke«, sagt er ohne bestimmten Grund. Mona weicht einen Schritt zurück.
    »Man sollte sich das nicht antun, das macht es nicht besser«, sagt sie. Jules greift die Kordel seiner Kapuze, versucht, die Welt in den Angeln zu halten und nicht wütend zu werden, aber der Zorn ist schon da. Er hat Lust, Mona zu verprügeln.
    »Hau ab!«, drückt Jules zwischen den Zähnen hervor. Das klingt nicht nach ihm, Jules ist eigentlich friedlich. Mona rührt sich nicht, Mona weicht nur zurück, wenn es dafür keinen Grund gibt. »Hau ab!«, zischt Jules noch einmal, aber sie bewegt sich nicht, steht da wie eine Irre.
    »Meine Mutter hat immer gesagt, man soll höflich zueinander sein«, sagt Mona ruhig.
    »Deine Mutter ist tot, und zwar seit Jahren.«
    »Ich weiß«, sagt Mona und gibt sich rational, »sie liegt auf dem Friedhof. Aber das hat sie immer gesagt. Dass man höflich sein soll. Man muss höflich sein, Mona, hat sie gesagt, trotz allem, hat sie gesagt und egal zu wem.«
    »Scheiß auf deine Mutter!«, sagt Jules, der ausprobieren will, ob er jemanden außer sich selbst zum Heulen bringen kann. Mona kann nur zum Glotzen gebracht werden.
    »Das war nicht nett«, sagt

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