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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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führen wir ihn aus.« Jules nickt, obwohl er sich fürchtet, er will keinen Plan machen, er hat gehofft, sie hätte das alles schon längst vergessen. »Papa hat bestimmt noch das Seil«, sagt Jula, und Jules fragt:
    »Was für ein Seil?« Er weiß ganz genau, welches sie meint.
     
    Nachdem er ausgetrunken hat, was auf dem Küchentisch stand, sehnt David sich plötzlich nach dem Modell, nach dieser Welt, heil und ungestört unter Plexiglas. Langsam tastet er sich am Küchentisch entlang, stolpert über den Staubsauger, den er vorhin schon bereitgestellt hat, er wollte doch putzen. In der Diele reißt er die Jacken vom Haken, schnappt sich einen Mantel, es ist der seines Vaters, auf den kann er sich verlassen, er ist viel zu weit, und als er aus dem Haus und die weiße Treppe hinunterstolpert, findet er in der Tasche die kleine Flasche, die immer währende, die mit der merkwürdigen Gravur. In die Flasche hat jemand Flussaufwärts ahoi gebrannt. Das macht keinen Sinn, aber das ist David egal, früher hat er sich darüber den Kopf zerbrochen, heute interessiert ihn nur der Inhalt und auch der brennt im Rachen, auch dieser
Schnaps wärmt ihn für einen Moment auf. David säuft gegen viel zu viele Jahre im Haus seines Vaters an, gegen die Angst, Milo wieder zu verlieren, er säuft sich das Modell groß und sich selbst hinein in die lichtdurchflutete Plastikwelt. Er wird Milo mitnehmen, sie beide in Sicherheit bringen, eine Sicherheit im gläsernen Sarg.
    Kaum steht David vor dem Modell, wird ihm klar, woher die dämliche Sehnsucht kam. Als seine Mutter und mit ihr das traurige Lächeln an einem Sommertag tatsächlich verschwand, erzählte sein Vater ihm von einem weit entfernten Land, in dem immer die Sonne scheint: »Nur knallgrüne Wiesen gibt es dort und Seen mit winzigen Ruderbooten und lachenden Menschen darin.« Es ist kein Wunder, dass David in dem Modell auf dem Hauptplatz zuerst seine Mutter sucht und die Wut auf die Verantwortlichen dabei völlig vergisst. David mag das Modell. Es ist ein Geheimnis, eine Lüge, wie das Verschwinden seiner Mutter auch, aber immerhin spendet es Trost. Da hat sich jemand Mühe gegeben.
     
    »Das wird gut«, strahlt Jula, quer beugt sie sich über das Sofa und drückt Jules einen Kuss auf die Wange. »Super«, sagt Jula, und Jules nickt, jetzt haben sie den Plan und noch ein paar Monate Zeit, ihn in die Tat umzusetzen.
    »Kinder«, sagt Eleni, sie steht in der Tür und Jules fragt sich, wo sie die ganze Zeit war und was sie eigentlich den Nachmittag über tut, seit sie die Bäckerei nur noch für wenige Stunden öffnet. Der Ofen steht kurz vor der Explosion, Eleni prophezeit, dass er in die Luft gehen wird, bevor die Verantwortlichen die Bäckerei abreißen können. Jeremias will nicht, dass sie ihn weiter heizt, aber Eleni setzt sich durch. Es ist ihr Geschäft, und der Ofen wird es schon nicht auf sie abgesehen haben. Trotzdem hat sie Jula verboten, in die Bäckerei zu kommen, Jula muss sich tagsüber anderweitig beschäftigen, und Jules fragt sich, warum er ihr so selten begegnet, wo sie
beide doch nun mehr als genug Zeit haben. Irgendwie findet anscheinend alles ohne ihn statt.
    »War Post da, Jules?«, fragt Eleni, und Jules will erst sagen, dass da was war, lässt es dann aber. Wenn sich das mit dem Plan im nächsten Monat immer noch so schlimm anfühlt wie jetzt, dann kann er Jula vielleicht davon ablenken mit Elenis Geheimnis, dann könnten sie gemeinsam den Umschlag öffnen. Jules schüttelt den Kopf, er lügt nicht sehr gut, aber Eleni hakt nicht noch einmal nach, sie horcht auf:
    »Da draußen schreit jemand.«
    »Wacho?«, fragt Jules.
    »Der Ofen«, murmelt Eleni. Jula schüttelt den Kopf:
    »Ich geh mal kurz raus.«
    David brüllt das Modell auf dem Hauptplatz an. Er brüllt wie ein Kind, bis er heiser ist:
    »Mama!«
    Jemand knallt die Fensterläden zu, Mona ruft aus dem Dachgeschoss ihres Nachbarhauses, dass sie schlafen will, weil nämlich ein schöner Traum auf sie wartet. David zeigt der verschwimmenden Welt den Mittelfinger. Sein Brüllen ist zu einem Kreischen geworden, mit den Fäusten trommelt er auf den Glaskasten.
    »David«, ruft Jula, in der Hand einen Baseballschläger. Er wusste nicht, dass sie Baseball spielt, hier gibt es kein Feld dafür, nicht einmal einen Fußballplatz gibt es hier. Jula zerrt David aus seiner jämmerlichen Position, sie schüttelt ihn und sieht ihn fest an.
    »Reiß dich zusammen«, sagt Jula, und David wiegt den Kopf. Sie

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