Bevor Alles Verschwindet
im letzten Moment bringt David sie wieder ins Gleichgewicht.
»Danke«, sagt die Frau.
»Es ist ja nun so«, sagt der Mann noch einmal.
»Herr Abend«, sagt die Frau, und: »Bitte!« Herr Abend sieht sie tadelnd an, sie hat seinen Namen preisgegeben, davon wird im Leitfaden für derartige Gespräche eindeutig abgeraten.
»Worum geht es?«, fragt David, der die Geduld verliert, und nicht nur er, hinter ihm läuft Milo unruhige Kreise, die läuft er sonst nicht, gewöhnlich steht er still oder sitzt.
»Jedenfalls haben Sie Glück, dieses Haus steht unter Denkmalschutz.«
»Ah ja«, sagt David, »das wussten wir nicht.«
»Das scheint hier niemand gewusst zu haben, sonst hätte man Sie von Ihren Verschönerungsversuchen abgehalten.« Die Frau verzieht missbilligend das Gesicht, ihr Blick bleibt an der Plastikplane hängen, darunter verbirgt sich die Fluchtmöglichkeit, an der David seit ein paar Wochen bastelt.
»Wir sind ganz vorsichtig«, sagt Milo schnell.
»Wir sind vorsichtig«, wiederholt David lauter.
»Jedenfalls wird dieses Haus nicht abgerissen«, sagt die Frau.
»Sie haben Glück«, sagt Herr Abend. »Ihr Haus wird das alles überstehen.«
»Und der See?«, fragt David.
»Wir nehmen eine Translokation vor«, sagt Herr Abend,
als würde das irgendetwas erklären, als könnte das den See bannen. »Das bedeutet, das Haus wird versetzt.«
»Wohin«, will David wissen.
»Es wird ein begehbares Denkmal werden, oben am Hang«, sagt Herr Abend und seine Kollegin fügt schnell hinzu: »Morgen beginnen wir mit dem Abbau. Ihre Arbeit können Sie sich sparen, das sollten Sie sogar, was Sie da tun, ist strafbar.«
Damit stehen die beiden auf, nacheinander geben sie David die Hand, aber Milo übersehen sie natürlich. Kurz bevor sie auf die Treppe treten, dreht sich der Mann, dreht Herr Abend sich noch einmal um:
»Sie haben vielleicht ein Glück«, sagt er, und das klingt sehr traurig und überhaupt nicht nach Glück.
Milo setzt sich auf einen der beiden Sauerkrauteimer, er wirkt erschöpft und müde.
»Haben wir Glück?«, fragt David. Aber es ist nicht eindeutig, ob sie Glück haben, das entscheidet das Haus ganz allein, ob es als Glück angesehen werden kann, wenn man es transloziert.
Milo malt das Haus in den Staub auf den rohen Brettern, auf ihren Tisch. Davids Blick wandert von dem kleinen Haus in den großen Raum, der schon Ähnlichkeit mit einem Zuhause hat, Milo hat die Dielen abgeschliffen. Das ist David vorhin gar nicht aufgefallen.
»Was machen wir heute noch, wollen wir irgendwas tun?«, fragt David und muss schlucken, weil er genau weiß, was er heute noch tun will, er traut sich nicht, es laut auszusprechen. Milo steht abrupt auf, nimmt den Hobel, setzt sich auf die unterste Stufe und beginnt wieder mit der Arbeit. David steht sich selbst auf dem Fuß, vielleicht sollte er lieber gehen. Vielleicht ist Milo nur deswegen hierhergekommen, wegen des Hauses. Vielleicht ist das ganz allein Milos Ding, vielleicht braucht Milo ihn nicht, wie er Milo braucht. Eigentlich spricht nicht viel dafür, dass Milo irgendwen nötig hat, eigentlich kommt Milo klar und David eher nicht.
»Bis später«, sagt David, unschlüssig hebt er die Hand. Milo schaut kurz auf, nickt, lächelt ihn an, und David geht wieder hinaus, durch seine Erinnerung eines Waldes bis zum menschenleeren Hauptplatz und die zweite Löwentreppe hinauf. Dass ihn jemand beobachtet, spürt er, es ist ihm egal. Vielleicht ist Wacho da, vielleicht braucht ihn sein Vater, und wahrscheinlich, denkt David, als er die Fassade zu seinem Zimmer hochklettert, wahrscheinlich ist es ganz und gar kein Fall von Glück, diese Verwandlung des einsamen Hauses in ein begehbares Denkmal.
Mit den ersten konkreten Plänen und einer Vorstellung davon, weitermachen zu müssen, steht Jeremias Salamander am weit geöffneten Schlafzimmerfenster. Tief atmet er täglich die weicher werdende Luft ein und fühlt sich einsam, nichts weiter. Da draußen war eben noch David, mit dem hektischen Blick und wahrscheinlich wie immer in letzter Zeit leise flüsternd wie ein Verrückter. Sie werden alle wahnsinnig und vielleicht ist das sogar hilfreich.
In einem Haus, in dem es bald an allem fehlen wird, bis auf den Keller, den sie seit Jahren nicht mehr nutzen, können sie nicht wohnen, auch wenn Eleni das anders sieht. Er hat es angesprochen, nach ihrer nachmittäglichen Pause hat er sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte im neuen Ort neu anzufangen: Mit dem
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