Bevor Alles Verschwindet
gemeinsamen Leben, der Bäckerei, mit einem noch besseren, schöneren Haus. Sie ist gegangen, ohne einen Blick auf seine Skizze zu werfen, sie hat ihm einen Vogel gezeigt und gesagt, sie müsse rüber, dem Ofen sei nicht zu trauen und dem Mädchen momentan auch nicht.
Jeremias' bisher wichtigster Auftrag als Laienarchitekt: ein Haus zu entwerfen, das so perfekt ist, dass sie darüber alles vergisst, woran sie hängt. Jeremias war einmal innovativ und jetzt ist er es wieder. Die Pläne sind gut, das weiß er. Es würde ihr gefallen, das neue Haus, mit seinem Wintergarten, den
klaren Linien, der riesigen Terrasse und dem Schwimmteich, den vielen Optionen auf noch mehr, mit dem Turmzimmerchen und den Zinnen aus marokkanischem Porzellan. Es ist das Traumhaus, das sie sich ausgemalt haben vor fast zwanzig Jahren, dieses Haus war einmal ihre Zukunft, noch vor den Zwillingen und erst kurz nach den großen Reisen, den Abenteuern. Heute ist das Haus ihrer Träume für Eleni anscheinend ein Grund zur Flucht, und Jeremias fragt sich, während er die Pläne zusammenrollt, ob ihr gemeinsames Leben nur noch hier möglich ist.
In ihrer Praxis sieht Clara einen der Gelbhelme streng an: »Dann zeigen Sie mal her.« Clara kann sich schon denken, um was es geht, Gelbhelme werden überdurchschnittlich oft von Füchsen gebissen. Von dem Fuchs, denkt Clara und verbietet sich diesen Gedanken sofort. Was für ein Quatsch. Der Gelbhelm ist in ihrem Alter, er sollte sein Gewicht im Auge behalten, ansonsten ist er gesund, bis auf den Arm, den Arm hat das Vieh also erwischt. Vorsichtig zieht sie den Ärmel hoch, im Stoff sind feine Löcher, wie bei den anderen auch. Immer die gleichen Pullover, immer der gleiche Biss.
»Ich wollte ihn wegscheuchen, er stand im Weg.« Clara nickt, der Fuchs treibt sich meistens rum, wo er nicht soll; der Fuchs stört gern. »Erst ist er ein paar Schritte weggelaufen, dann kam er zurück, ich wollte gerade eine Pause machen und hatte mich auf einen Baumstumpf gehockt, und dann stand er vor mir, fast auf Augenhöhe. Er sah eigentlich ganz freundlich aus und, ich weiß auch nicht, das war natürlich dumm, ich hab ihn gestreichelt.« Clara zieht die Spritze auf. »Gegen Tetanus bin ich«, sagt der Gelbhelm. »Da achte ich drauf.« Clara gibt ihm eine Spritze gegen Tollwut, der Gelbhelm bedankt sich, und sie verspricht ihm, das Tier zu melden. Das hat sie auch den anderen versprochen.
»Eigentlich ist es schade«, sagt der Gelbhelm, während er
sich den Pullover vorsichtig übers Pflaster zieht. »Dass wir so wenig miteinander zu tun haben. Ich meine, nicht wir, also, wir zwei, sondern wir alle, wir vom Bau und ihr aus dem Ort.« Clara schmeißt die Spritze weg: »Das sind zwei Welten, denke ich, und wahrscheinlich ist es gut so.« Der Gelbhelm steht auf, reicht ihr die Hand, sie will sie erst nicht nehmen, aber dann nimmt sie sie doch.
»Es sind fünf weitere Spritzen nötig, kommen Sie wieder und halten Sie sich fern von diesem Tier.« Der Gelbhelm nickt und geht zur Tür. Er zögert, sie zögern alle, Clara wünscht sich verzweifelt eine Abwechslung.
»Er sah aus, als wäre er blau. Sein Fell, meine ich.« Clara produziert ein mehr oder weniger glaubhaftes Lachen.
»Mein Lieber, das lassen Sie mal besser nicht den Chef hören.« Der Gelbhelm lacht ebenfalls, auch er nicht herzhaft, er zieht die Tür hinter sich zu und dann ist er weg. Clara lässt sich auf die Liege fallen. Sie langweilt sich so, warum zum Teufel bemerkt sie das erst jetzt.
Es ist still, zu Hause ist niemand. David schiebt den Schreibtisch beiseite und steigt leise die Treppe hinab. Auf dem Küchentisch findet er Spuren seines Vaters, da stehen Flaschen. Widerwillig trinkt David den letzten Schluck eines scharfen Selbstgebrannten und dann noch einen aus einer anderen Flasche, das Zeug ist richtig übel. David trinkt, als wäre es Wasser, David betritt hier Neuland und fragt sich, warum gerade jetzt und nicht schon vor Monaten, als es noch Grund genug gab, sich wegzutrinken. Als es hier noch nichts gab für ihn und es so aussah, als würde der Ort sie alle für ewig binden an diese endlose Winterwelt. Das Zeug zu vernichten, bevor Wacho es trinkt, ist eines der wenigen Dinge, die David noch für ihn tun kann. Es einfach im Klo runterzuspülen, kommt ihm nicht in den Sinn. David ist schlecht vor Hunger, seit er Milo hat, vergisst er die grundlegenden Dinge.
In drei Jahren wird David dreißig und fühlt sich doch wechselweise wie ein
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