Bevor du gehst
hoch und trug es durchs Zimmer. Mit der freien Hand schob Jude das Fenster auf und versetzte dem Computer einen Stoß in die Nachmittagsluft, um zu sehen, ob er fliegen konnte. Armes Ding, keine Flügel. Vielleicht wurde dafür eines Tages eine App entwickelt.
Festplatte zerbrochen, Tastatur zerdrückt, LCD -Monitor zertrümmert. Ihm fielen andere Dinge ein, die er weggeworfen hatte, auch Menschen. Freiheit war ein gutes Gefühl.
Jude war es egal, ob er Becka jemals wiedersah.
Wenig später stürmte sein Vater die Treppe herauf und platzte mit den Armen fuchtelnd ins Zimmer. »Verdammt, Jude, was soll das?« Nach ihrem Mann drängte auch Judes Mutter herein. Dann standen sie zu dritt da und starrten einander an. Jude konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal alle gleichzeitig in seinem Zimmer gewesen waren. Der Raum fühlte sich auf einmal beengt an, als wäre Jude ihm entwachsen wie einer alten Jacke.
»Dafür zahlst du!« Wutentbrannt deutete Mr. Fox zum Fenster hinaus. Seine Stimme bekam einen Riss. Dann sank er in sich zusammen, und alle Kraft schien aus ihm zu weichen. Mit gesenktem Kopf setzte er sich auf eine Ecke von Judes Bett. »Ich weiß, es war schwer«, sagte er mit leiser Stimme zum Boden. Blinzelnd blickte er auf und forschte nach einer Regung in Judes Gesicht. Der schaute weg. »Du kannst nicht einfach dichtmachen, Jude. Das lasse ich nicht zu.« Mr. Fox wandte sich seiner Frau zu, als hätte ihn ihre Gegenwart erschreckt. »Wir lassen es nicht zu.«
Jude stellte sich die Worte seines Vaters als kleine Silberfische vor, die durchs Zimmer schwammen. Blubb, blubb, blubb. Er schloss die Augen und sah, wie einer in sein Ohr schwamm und durch das andere wieder herauskam. Er spürte, wie die silbernen Flossen sein Bewusstsein streiften. Und dann folgten rasch hintereinander drei Gedanken.
Es hat gekracht.
Mom und Dad haben es gehört.
Und jetzt ist es Zeit, dass die beiden endlich aus meinem Zimmer verschwinden.
26
Den größten Teil der nächsten Woche vertrödelte Jude auf der Couch. Mit der Fernbedienung in der Hand zappte er sich durch die Sender. Manchmal blieb er nicht bei einem Kanal, sondern ließ einfach die Blitze aus Licht und Farbe aufzucken. Erst wenn er sich dem Ganzen zwei- oder dreimal ausgesetzt hatte, fand er sich mit einer Spielshow oder America’s Funniest Videos ab. Entscheidend war, nichts zu denken und zu fühlen und nur dumpf vor sich hin zu vegetieren wie ein Pilz im Regen. Die Liste von Dingen, an die er nicht denken wollte, war lang.
Allerdings spürte er eine Veränderung bei seinen Eltern: sie bemühten sich um ihn, wirkten besorgter und umschwirrten ihn wie Motten die Terrassenlampe. Eines Abends lag Jude auf der Couch, die Decke bis zum Hals hochgezogen, vor sich auf dem Tisch eine zerknüllte Tüte Chips. Sein Vater hatte es sich im Ledersessel bequem gemacht und blätterte in einer Zeitschrift. Nur draußen in der Küche schepperte seine Mutter beim Kochen unheilvoll mit Töpfen und knallte mit Schubladen.
Schließlich marschierte sie ins Fernsehzimmer und stand einfach nur da wie eine an die Wand genagelte Bekanntmachung. Wütend starrte sie vom Fernseher zu Jude und wieder zurück. »Jude, du hast schon ziemlich lange nicht mehr Gitarre gespielt.« In ihrer Stimme war Honig, doch in ihren Augen Gift.
Jude bewegte sich nicht. Sein Blick kehrte zurück zum Bildschirm, als würde dort etwas wesentlich Faszinierenderes gezeigt als eine Reklame für eine Bank.
»Warum schaltest du den Kasten nicht mal aus«, schlug sie vor. »Hol die akustische Gitarre raus und spiel ein paar Oldies für deine Mom. Neil Young oder so. Du weißt doch, wie sehr ich die Beatles liebe. ›Blackbird‹ zum Beispiel.«
Es kostete Jude einiges an Kraft, sie träge anzusehen und langsam den Kopf zu schütteln. »Im Moment ist mir nicht nach Spielen.«
»Steh auf und hol deine Gitarre«, fauchte sie mit erstaunlicher Heftigkeit. »Wir haben Hunderte und Tausende von Dollar für deinen Unterricht ausgegeben, und ich schaue bestimmt nicht zu, wie du das alles wegwirfst. Reiß dich zusammen!«
Sein Vater legte die Zeitschrift hin. »Schatz«, mahnte er.
»Nein, nein, nein«, entgegnete sie. »Der Junge muss endlich wieder zu sich kommen. Jude, steh auf und spiel Gitarre – sofort.«
»Mom, was hast du denn auf einmal? Ich hab doch gesagt, mir ist nicht nach Spielen. Das Geld kann ich zurückzahlen, wenn’s darum geht.« Jude warf die Decke ab und stand auf, um die Flucht zu
Weitere Kostenlose Bücher