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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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Ton getränkt von Gefühlen, die Akkorde funkelnd wie der sonnenglänzende Ozean, wie Explosionen am Himmel. Und er wusste auch schon einen Titel für das Stück: »My Sweet Zombie Boy«.
    Endlich war es vorbei. Sie schoben sich aus den Bänken und bewegten sich mit kleinen Schritten, bei denen die Füße kaum vom Boden gehoben wurden, nach hinten zur Erlösung der weit offenen Tore.
    Er bemerkte Lee, der breitschultrig und benommen dastand. Neben ihm Vinnie, ein Häufchen Elend. In gegenseitiger Hilflosigkeit beäugten sie sich über den Gang hinweg wie Schaufensterpuppen in einem Kaufhaus. Vinnies Lippen bebten, sein Adamsapfel hüpfte, die Augen leblos wie braune Knöpfe.
    »Jude«, sagte ein Stimme. Becka streckte die Hand aus. Sie schaute in seine Augen, suchte etwas darin. Jude entzog ihr seine Finger und schüttelte kurz den Kopf – nicht jetzt. Dann schlurfte er weiter. Er hatte noch immer die Beerdigung vor sich, die Beisetzung , wie es genannt wurde. Es galt, ein Loch zu graben, weitere Mauern zu errichten und Erde über alles zu werfen.
    »Ich will nach Hause«, sagte er zu seinem Vater. »Die Tabletten. Meine Rippen. Ich bin so müde.«
    »Aber Jude«, wandte seine Mutter ein. »Wir müssen noch in den Friedhof. Denk an Coreys Eltern.«
    Vielleicht schimmerte doch etwas in seinen Augen, oder vielleicht lag es daran, wie er es ausgesprochen hatte. Auf jeden Fall ergriff sein Vater für ihn Partei. »Er hat schon genug durchgemacht, Joan.« Dann zu ihm gewandt: »Okay, Jude. Wir bringen dich nach Hause.«

23
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Jude.
    Becka, die am Steuer saß, bog nach rechts auf die Merrick Road. »Ach, nichts Besonderes. Einfach ein Ort, den ich mag.«
    Seit dem Begräbnis hatten sie sich nicht mehr gesehen, und Jude hatte auch die meisten ihrer SMS unbeantwortet gelassen. Wenn Becka deshalb sauer war – und Jude konnte es sich gar nicht anders vorstellen –, dann gab sie sich große Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Becka redete ununterbrochen, wie ein Papagei plapperte sie über dies, das und alles Mögliche andere. Nervös, immer schön leicht, bloß nicht das große Thema erwähnen. Jude blickte durchs Seitenfenster auf Tankstellen, Lebensmittelläden, zugemüllte Gehsteige und verlotterte Pizzalokale. Sie erzählte von der Arbeit und fragte Jude, wann er dort wieder auftauchen würde.
    »Gar nicht«, antwortete er.
    Stirnrunzelnd bremste Becka an einer roten Ampel. »Wirklich? Den ganzen Sommer nicht mehr?«
    »Ich streiche vielleicht unser Haus«, meinte Jude. »Dad redet schon länger darüber.«
    »Kannst du das denn?«
    »Hab keinen blassen Dunst.«
    Sie stoppte auf der rechten Spur, schaltete den Blinker an und parkte hinter einem anderen Wagen an der Straße ein. »Sauber hingekriegt, findest du nicht?« Ihre Stimme klang fröhlich.
    »Mill Pond«, stellte Jude fest.
    »Warst du schon mal hier?«
    »Klar.«
    »Da drüben gibt es einen Rundweg, den können wir nehmen.« Becka griff nach hinten und hievte einen Weidenkorb von der Rückbank. »Hab uns ein paar leckere Sachen mitgebracht.«
    Jude stieg aus. Den Unterschied zwischen einem Teich und einem See kannte er nicht, was offensichtlich auch auf den Typen zutraf, der dem Gewässer hier den Namen Mill Pond verpasst hatte. Für ihn sah es eher nach einem kleinen See aus. Oder zumindest nach einem ziemlich großen Teich. Egal. Dann fiel ihm ein, dass es irgendwas mit der Tiefe zu tun hatte. Nicht die Ausdehnung der Wasserfläche zählte, sondern wie weit es runterging. Er registrierte verstreute Bänke, zwei verwahrloste Pavillons mit abgesplitterten Holzbrettern und einen Gänseschwarm, der aggressiv schnatternd Futter forderte.
    Becka schlug den Weg nach rechts in den Wald ein. Jude folgte einen halben Schritt hinter ihr. Sie war still geworden, nachdenklich. Und Jude wartete auf das Unvermeidliche.
    »Und wie geht es dir inzwischen?«, fragte sie. »Ich hab dich vermisst.«
    Jude zuckte die Achseln. »Ziemlich so, wie man’s erwarten kann.« Er gab ihr nicht viel, weil er nicht viel zu geben hatte.
    Sie gingen eine Zeit lang, ungefähr um den halben See, dann stießen sie auf eine kleine Lichtung hinter einer kleinen Holzbrücke, eine grasige Stelle, wo ein Teich in den anderen floss. Becka stellte den Korb ab. Das Nachmittagslicht verblasste bereits, keine Menschenseele war in der Nähe.
    Schweigend aßen sie. Unsicher bot ihm Becka Essen an und entschuldigte sich für die geringste Kleinigkeit.
    »Es schmeckt gut«,

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