Bevor du gehst
Orangensaft war bereits eingeschenkt, und daneben stand eine Schachtel Cornflakes. Verblüfft starrte Jude das Ganze an. In diesem Augenblick trat seine Mutter ein. Sie trug ausgebeulte Klamotten, eine alte Jeans, die Ärmel hochgekrempelt bis über die Ellbogen, das Haar unter ein Tuch geschlungen. »Ich hoffe, du magst Cornflakes«, sagte sie, ohne ihn voll anzuschauen.
Damit verließ sie die Küche und zog einen Staubsauger am Schlauch hinter sich her wie einen widerspenstigen Hund an der Leine.
Gähnend kratzte sich Jude am Kopf und setzte sich. Er schüttete sich Cornflakes in die Schüssel.
Kurz darauf kam seine Mutter zurück. »Hier, die Zeitung von heute. Einfach zum Heulen, diese Mets.«
Erstaunt blickte Jude zu ihr auf, doch sie war schon wieder verschwunden, um nach Möbelpolitur zu suchen. Sie redeten nicht über den Streit vom Vorabend. Niemand entschuldigte sich, niemand suchte Trost. Es war ein neuer Morgen. Doch Jude kannte seine Mutter, und ihm war klar, dass sie ihm ein Friedensangebot gemacht hatte. Also tat er das Einzige, was ihm dazu einfiel: Er aß das Frühstück, trank den Saft und stellte das Geschirr anschließend ordentlich in die Spüle.
Inzwischen war Corey seit siebendundzwanzig Tagen tot, und alle – Roberto, Lee, Vinnie, sogar Judes Eltern – hielten es für das Beste, dass Jude endlich mal wieder aus dem Haus kam und versuchte, Spaß zu haben. Es war wie eine gigantische CIA -Verschwörung, bloß dass ihr großes Ziel nicht der Sturz der Regierung war, sondern Jude nach einer Dusche in frischen Kleidern zu sehen. Kleine Schritte, kleine Schritte.
Irgendwann erlahmte Judes Widerstand. »Klingt gar nicht so schlecht.« Seine Stimme war ausdruckslos, ergeben.
Also zog Jude los und folgte mit hängenden Armen seinen Füßen. In erster Linie war es Vinnies Schuld. Er war derjenige, der Jude ständig bearbeitete und ihn schließlich überredete, zu einer Party in Guffy’s Woods zu gehen, wo ein Baumstamm zum Anlehnen, ein kleines Feuer und ein lockerer Haufen Teenager warteten, die sich alle der Idee verschrieben hatten, einen draufzumachen.
Der Anlass für die abendliche Orgie – als ob es außer dem ekstatischen Doppelschlag von Sommer und Samstag einen Grund gebraucht hätte – war der siebzehnte Geburtstag eines Mädchens. Susan Irgendwas. Und so kam eine bunte Mischung von Leuten, die Jude kannte oder nicht kannte, um die Festivitäten einzuläuten. Er traf im Auto mit Lee und Vinnie ein. Um ein wenig vorzufeiern (oder vorzuölen), leerte das wiedervereinte tragische Trio einen Sixpack, bevor sie zu Fuß auf einem Pfad durch den Wald stapften. Als sie tiefer ins Unterholz und die Kiefern vordrangen, sah Jude Glasscherben, von Luftgewehren und -pistolen zerschossene Äste, tief in die Erde gegrabene und eingetrocknete Furchen von Fahrzeugen mit Allradantrieb, Reste alter Lagerfeuer, zerdrückte und wie tote Soldaten auf dem Weg verstreute Bierdosen.
Es war eine Monsterfete, mehr als fünfzig Leute, viel größer, als Jude erwartet hatte, und zuerst haute ihn der Anblick völlig um. Alle waren da. Selbst unter norma len Umständen war Jude keiner, der sich einfach ins Getümmel stürzte. Er deutete auf einen umgestürzten Baum am Rand des Geschehens. »Geht ihr schon mal vor zum Kundschaften«, bat er Vinnie und Lee. »Findet raus, wo das Bier ist und kommt mit ein paar Flaschen wieder.«
»Alles klar bei dir?«, fragte Vinnie.
»Total.«
Die Party war schon in vollem Gang. Jude lehnte sich an den Stamm und schaute zu, wie die Feiernden lachten, flirteten und den Mond anheulten. Letzteres besorgte vor allem Terry O’Duffigan – alias Duffmeister –, der bereits ziemlich geladen hatte. Ein Typ kletterte auf einen Baum und machte den Tarzan, um irgendjemanden zu beeindrucken, doch die gute alte Jane hatte sich anscheinend schon mit Bigfoot in die Büsche geschlagen. Die anderen achteten gar nicht auf das Spektakel.
Als Vinnie eine Viertelstunde später zurückkehrte, hatte er leichte Schlagseite. Er ließ sich neben Jude fallen. Kann er etwa schon prall sein? , fragte sich Jude. Vinnie reichte Jude einen roten, mit Bier gefüllten Becher und legte ihm den Arm um die Schultern. »Ich hab dich vermisst, Alter.« Vinnie lallte leicht. »Wo warst du denn die ganze Zeit? Du gehst gar nicht mehr raus.«
»Ich weiß, ich bin ein Arsch«, entschuldigte sich Jude.
Dann machte Vinnie etwas Überraschendes. Er umarmte Jude und drückte ihn fest an sich. Nachdem er ihn wieder
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