Bevor du gehst
sagte er. »Ich hab bloß keinen Hunger.«
Dann war es so weit. Das Gespräch über den Unfall und Corey stand an. Wie leid es ihr tat und wie verkorkst sich alles zwischen ihnen anfühlte.
»Vielleicht war es Schicksal«, meinte Becka schließlich.
»Nein, sag das nicht.« Jude schüttelte den Kopf. »Sag das nicht.«
Becka wandte den Blick ab. Sie sah, wie sich auf der anderen Seite der Wiese ein Wildkaninchen vorsichtig im Licht des Spätnachmittags bewegte. Das ist die Zeit, in der sie rauskommen , dachte sie. Es ist sicherer in der Dämmerung. Warum war das wohl so? Weniger Falken um diese Zeit? Oder einfach weniger Leute, die herumstapften, mit lauter Stimme redeten, dumm lachten oder ihren Hund spazieren führten?
Jude stand auf und lief aufgewühlt auf und ab. Dieses kleine Zusammentreffen hier im Park war Beckas Show. Sie musste ja unbedingt einen Ausflug mit ihm machen, obwohl er nichts anderes wollte, als in Ruhe gelassen zu werden. »Weißt du, ich hasse es, wenn die Leute das sagen.« Jude gestikulierte geringschätzig mit der Hand. » Schicksal. Was soll das überhaupt heißen? Glaubst du wirklich, dass es irgendwie geplant war, Becka? Ein Auto, das gegen einen Baum kracht?«
Becka blieb stumm, sie bedauerte ihren Fehler. Er hatte sich vor ihren Augen verwandelt, war auf einmal ganz fahrig und zerrissen. Sie hatte schon zu viel gesagt.
»Leute sterben«, fuhr Jude erregt fort. »Jeden Tag passieren schreckliche Dinge. Unfälle. Ständig sterben gute, liebe Menschen. Babys in Wiegen. Kinder mit Krebs. Mütter brechen in der Gefrierkostabteilung eines Supermarkts mit einer Packung Fischstäbchen in der Hand zusammen und sind tot. Und alles, was euch dazu einfällt, ist dieser Scheißspruch von wegen Schicksal.«
»Das ist nicht bloß ein Spruch.« Becka redete mit leiser, versöhnlicher Stimme. »Ich war auch in dem Auto, Jude. Und Daphne, weißt du noch? Wir versuchen alle, es zu begreifen, genau wie du. Bitte setz dich.« Sie deutete auf die Decke.
»Ob ich es noch weiß?« Jude stürzte sich auf die Formulierung. »Ob ich es noch weiß ? Glaubst du vielleicht, ich hab es vergessen?«
»Jude, damit wollte ich nicht …«
Jude unterbrach sie. »Und was Daphne angeht, meinst du wirklich, dass mich das interessiert? Sie hat meinen besten Freund umgebracht.«
»Es war ein Unfall, Jude. Du kannst ihr keinen Vorwurf machen.« Nun wurde auch Becka lauter. »Sie hat Corey wirklich gemocht. Du hast sie doch zusammen erlebt. Was meinst du, wie Daphne sich fühlt?«
Das brachte Jude kurz ins Stocken. Doch dann grinste er böse. »War es nun ein Unfall? Oder doch das Schicksal? Hmm, Beck? Was denn jetzt? Beides gleichzeitig geht nicht.« Wieder winkte er verächtlich ab. »Diese billigen Erklärungen. Macht dich das glücklich, Beck? Hilft es dir, damit du nachts schlafen kannst?«
»Jude, bitte.«
»›Jude, bitte‹«, äffte er sie nach.
Beckas Augen schimmerten gekränkt. Um ihre Hände zu beschäftigen, packte sie die Sachen zusammen. Das Picknick war misslungen. Sie wickelte das Hühnchen in Alufolie, versiegelte die Trauben in einer Tupperdose. Sie verdarben so schnell.
»Du glaubst an Gott, ist es das?« Mit ausgefahrenen Krallen tastete Jude nach einem wunden Punkt. »Wie schön für dich.«
Becka blickte zu Boden und saß einfach still da, um den Schatten vorüberziehen zu lassen. Dann schaute sie auf und musterte die grausame Fratze, zu der sich sein Gesicht verzogen hatte. In seinen Augen war kein Licht. Jede Freundlichkeit war versiegt. »Ja.« Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. »Ich glaube an … etwas. Ich weiß auch nicht, Jude. Es kann doch nicht alles umsonst sein.«
»Aber das ist es doch gerade!«, rief Jude. »Nichts hat einen Sinn. Wir könnten alle morgen ausgelöscht werden, und die Sonne würde trotzdem aufgehen. Weil das alles nicht zählt.«
»Ich möchte jetzt aufbrechen.« Becka stand auf, um die Decke zusammenzulegen.
Jude bot ihr keine Hilfe an. »Ich kann das nicht mehr machen«, brach es aus ihm hervor. »Wir brauchen eine Pause. Picknicks im Park . Verdammt.«
Beck spürte den Schmerz wie einen Stich durch die Brust. »Was? Das hast du nicht so gemeint, oder, Jude? Sag mir, dass du es nicht so gemeint hast.«
Jude wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Voller Zorn ballte er die Hände zu Fäusten.
»Sag mir, dass du es nicht gemeint hast.« Becka versuchte es mit einer anderen Taktik. »Du bist aufgeregt, Jude. Du hast viel
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