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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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durchgemacht.«
    »Ich bin nicht ›aufgeregt‹.« Wieder lag blanker Hohn in seiner Stimme. » Aufgeregt ? Das soll wohl ein Witz sein. Du meinst also, ich bin aufgeregt? Wofür hältst du mich eigentlich? Für einen kleinen Jungen, dem die Eiswaffel runtergefallen ist?«
    »Wir müssen zusammenhalten, vor allem jetzt. Allein schaff ich das nicht.«
    »Es geht nicht. Tut mir leid, aber …« Er kehrte ihr den Rücken zu. »Ich kann nicht, Beck. Ich kann einfach nicht.«
    Und sie ließ ihn gehen, sah zu, wie er durchs Gras zurück zu dem Pfad stapfte, der zum Auto führte. Jude brauchte Zeit. Das kam schon wieder in Ordnung. Auch das zwischen ihnen. Er brauchte nur Zeit, das war alles. Eine innere Stimme riet ihr: Bleib stark, halt dich zurück. Lass ihn nicht sehen, dass du weinst.
    Das graue Kaninchen hob den Kopf, stoppte und beobachtete die bedrohlich näher rückende Gestalt. Dann huschte es unter einen Busch.
    In Sicherheit.

24
    Am nächsten Morgen hinterließ Becka einen Brief in Judes Postkasten. Seine Mutter entdeckte ihn und legte ihn auf die Arbeitsplatte in der Küche. Ein verschlossener weißer Umschlag mit der Aufschrift JUDE .
    »Die kapiert es einfach nicht«, knurrte Jude vor sich hin. Sie wollte nicht einsehen, dass sich für ihn alles verändert hatte. Er trug den Umschlag hoch in sein Zimmer, ließ sich aufs Bett fallen und riss ihn auf.
    Hallo Jude,
    ich weiß noch, als ich drei oder vier war, fuhren meine Eltern mal mit uns zum Campen. Es war eine schöne Zeit. Ich spielte mit meinen Brüdern in einem Felsbach und kletterte auf den glitschigen Steinen herum. Am Abend aßen wir am Lagerfeuer Smores. Matt warf einen Ball ins dichte Unterholz, und weil ich die Kleinste war, musste ich durchkriechen und ihn holen. Dabei fand ich halb im Dreck begraben einen Plastikcowboy. Damals war das für mich die größte Entdeckung aller Zeiten. Ich liebte die Figur. Dumm, ich weiß. Trotzdem hab ich sie noch immer in meinem Zimmer. Einfach ein Plastikcowboy. Aber ihn zu finden war wie ein Wunder für mich. Ein Geschenk. Und warum erzähle ich dir das jetzt, wo es aussieht, als wäre es zwischen uns vorbei? Weil mein Gefühl für dich genauso ist.
    In Liebe,
    B
    Jude spürte ein Pochen in seiner Brust. Sicher war es ihr nicht leichtgefallen, diesen Brief zu schreiben. Vor allem der letzte Teil – In Liebe, B – beschäftigte ihn. Sie hatten dieses Wort bisher nicht ausgesprochen, und er war nicht sicher, was es genau bedeutete. Trotzdem, auch er empfand es und wusste, dass es das richtige Wort war.
    Nur zur falschen Zeit.

25
    Auf Judes Schreibtisch in seinem Zimmer stand ein neues Notebook. Ein Geschenk. Für das letzte Jahr an der Highschool, dann fürs College. All diese großen Dinge in der Zukunft, die ihn nicht mehr interessierten. Das Notebook hatte ein tolles Design und war einsatzbereit: der beste Mac auf dem Markt. Vor nicht allzu langer, aber inzwischen Welten von ihm entfernter Zeit hätte diese Überraschung ein Lächeln in sein Gesicht gezaubert. Dankbar hätte er sich für so ein Geschenk vielleicht sogar zu einer großen Geste gegen seine Eltern aufgeschwungen: Mom und Dad und Jude in einer unvergesslichen, warmen Umarmung. Liebe, Liebe, Liebe von allen Seiten. Irgendwie hatten sie in sein Herz geblickt und ohne Aufforderung den begehrten Gegenstand beschafft: ein verdammtes Notebook . Und von Jude wurde jetzt erwartet, dass er seine Eltern voller Freude fragte: »Woher habt ihr das gewusst? Woher habt ihr bloß gewusst, dass ich mir schon immer so was gewünscht habe?«
    Okay, sie bemühten sich eben. Das war ihm klar. Aber er konnte nicht oder wollte nicht. Nein, das stimmte nicht, auch Jude bemühte sich, rang nach Luft. Doch es funktionierte nicht, der Alltag bot keinen Auftrieb, das Wasser drang in seine Lunge und zog ihn immer weiter in die Tiefe.
    Jude saß auf dem Bett und starrte auf den Computer, der seit drei Tagen unberührt an seinem Platz stand. Sein Vater hatte ihn in Judes Beisein ausgepackt. Er war immer noch ihr kleiner Junge, und dieses Ding war der Versuch seiner Eltern, ihm einen Rettungsring zuzuwerfen. Sie glaubten fest daran, dass man die Ohren steifhalten und einfach weitermachen musste wie bisher, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen.
    Und Jude dachte: Das kriegst du zwei Wochen nach dem Tod deines Freundes. Dir ist was Schlimmes passiert? Keine Sorge, die Geschenke rollen schon an.
    Karma mit zweiwöchiger Verzögerung.
    Er rutschte vom Bett, hob das Notebook

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