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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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bringen?«
    »Wenn Sie ihr den Ernst der Lage deutlich vor Augen halten.«
    Dad wendet sich zu mir um. Langsam, so als wäre ich plötzlich verblödet, sagt er: »Zieh deinen Mantel an, Tessa. Es ist kalt draußen.«
    Kaum dass ich aus dem Auto gestiegen bin, schiebt er mich schon über den Weg durch die Haustür und direkt ins Wohnzimmer. »Setz dich«, sagt er. »Na los.«
    Ich setze mich aufs Sofa, und er nimmt auf dem Sessel gegenüber Platz. Offenbar hat ihn die Fahrt nach Hause erst so richtig in Rage gebracht. Er sieht wütend und atemlos aus, als hätte er seit Wochen nicht geschlafen und wäre zu allem fähig.
    »Scheiße, was machst du, Tessa?«
    »Nichts.«
    »Ladendiebstahl nennst du nichts? Du bist den ganzen Nachmittag verschwunden, ohne mir einen Zettel oder irgendwas dazulassen, und glaubst, das spielt keine Rolle?«
    Er schlingt die Arme um sich, als ob er friert, und so sitzen wir eine Weile. Ich höre das Ticken der Uhr. Auf dem Couchtisch neben mir liegt eine Autozeitschrift von Dad. Ich fummle an einer Ecke herum, knicke sie zu einem Dreieck um und wieder auf, während ich abwarte, was als Nächstes passiert.
    Als er redet, hört es sich sehr gesetzt an, so als würde er seine Worte ganz sorgfältig wählen. »Zu manchen Sachen bist du berechtigt«, sagt er. »Bei manchen Regeln können wir bei dir ein
Auge zudrücken, aber andere Sachen gibt’s, die kannst du wollen, so viel du willst, du bekommst sie trotzdem nicht.«
    Als ich lache, hört es sich an wie Glas, das von sehr weit oben runterfällt. Das überrascht mich. Genauso wie es mich überrascht, dass ich auf einmal Dads Zeitschrift in der Mitte knicke und das Titelblatt abreiße – das rote Auto, das hübsche Mädchen mit weißen Zähnen. Ich knülle es zusammen und werfe es auf den Boden. Dann reiße ich eine Seite nach der anderen raus und pfeffere sie nacheinander auf den Couchtisch, bis die ganze Zeitschrift zwischen uns ausgebreitet ist.
    Zusammen starren wir die rausgerissenen Seiten an, und ich ringe nach Atem, und ich will so sehr, dass etwas geschieht, etwas Gigantisches wie ein Vulkanausbruch im Garten. Aber nichts passiert, als dass Dad die Arme noch fester um sich schlingt, wie immer, wenn er sich aufregt: Da geht einfach so eine Ausdruckslosigkeit von ihm aus, als würde er sich plötzlich in irgendein Nichts verwandeln.
    Und dann sagt er: »Was passiert, wenn du dich deiner Wut überlässt, Tessa? Wer bist du dann? Was ist dann noch von dir übrig?«
    Und ich sage nichts, schaue nur in den Lichtstrahl von der Lampe, der schräg über das Sofa fällt und auf den Teppich schwappt, um zu meinen Füßen zu gerinnen.

NEUNZEHN
    A uf dem Rasen liegt ein toter Vogel, die Beine dünn wie Cocktailspießchen. Ich sitze im Liegestuhl unter dem Apfelbaum und sehe ihn mir an.
    »Der hat sich ganz klar bewegt«, verrate ich Cal.
    Er stellt sein Jonglieren ein und kommt gucken. »Maden«, sagt er. »In einem Aas kann es so heiß werden, dass die in der Mitte an den Rand kriechen müssen, um sich abzukühlen.«
    »Scheiße, woher weißt du das denn?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Internet.«
    Dann stupst er den Vogel so lange mit seinem Schuh an, bis der Bauch aufplatzt. Hunderte von Maden quellen raus auf das Gras, wo sie sich winden, von der Sonne geblendet.
    »Siehst du?«, sagt Cal, der sich hinhockt und mit einem Stöckchen in ihnen rumstochert. »Ein toter Körper ist sein eigenes Ökosystem. Unter bestimmten Bedingungen braucht eine Leiche bloß neun Tage, um bis auf die Knochen zu verwesen.« Versonnen sieht er mich an. »Aber mit dir wird das nicht passieren.«
    »Nein?«
    »Das ist eher, wenn Leute ermordet und draußen liegen gelassen werden.«
    »Was wird mit mir passieren, Cal?«
    Ich habe das Gefühl, dass alles, was er sagt, richtig sein wird, so als wäre er irgendein von kosmischer Weisheit erleuchteter großer Zauberer. Aber er zuckt nur die Schultern und sagt: »Ich krieg das raus und sag es dir dann.«

    Er geht zum Schuppen, eine Schippe holen. »Pass auf den Vogel auf«, sagt er.
    Der Wind zaust die Federn. Er ist sehr schön, schwarz mit bläulichem Schimmer, wie Öl auf dem Meer. Die Maden sind auch ziemlich schön. Sie wuseln panikartig durchs Gras, auf der Suche nach dem Vogel, nacheinander.
    Und da überquert Adam den Rasen.
    »Hallo«, sagt er. »Wie geht’s dir?«
    Ich setze mich in meinem Liegestuhl auf. »Bist du grade über den Zaun geklettert?«
    Er schüttelt den Kopf. »Hinten ist eine Lücke.«
    Er

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