Bevor ich sterbe
trägt Jeans, Boots, eine Lederjacke. Und hält etwas hinter dem Rücken. »Hier«, sagt er und hält mir einen Bund wilde grüne Blätter hin. Dazwischen stecken knallorange Blumen. Sie sehen wie Laternen oder Minikürbisse aus.
»Für mich?«
»Für dich.«
Mir tut das Herz weh. »Ich versuche, mir nichts Neues zuzulegen.«
Er runzelt die Stirn. »Vielleicht zählen Lebewesen nicht.«
»Womöglich zählen sie mehr.«
Er setzt sich ins Gras neben meinen Stuhl und legt die Blumen zwischen uns. Der Boden ist nass. Die Feuchtigkeit wird seine Klamotten durchweichen. Bis er friert. Das sage ich ihm nicht. Ich erzähle ihm auch nichts über die Maden. Ich will, dass sie in seine Taschen krabbeln.
Cal kommt mit einer Gärtnerkelle wieder.
»Pflanzt du was?«, fragt Adam ihn.
»Toter Vogel«, sagt er und zeigt auf die Stelle.
Adam beugt sich vor. »Das ist eine Krähe. Hat eure Katze sie erwischt?«
»Weiß nicht. Ich werd ihn jedenfalls begraben.«
Cal geht zu dem hinteren Zaun, sucht sich einen Platz im
Blumenbeet aus und beginnt zu graben. Die Erde ist so weich wie Kuchenteig. Wo der Spaten auf Steinchen trifft, knirscht es wie Schuhe auf Kies.
Adam reißt kleine Grasbüschel ab und zieht sie durch die Finger. »Was ich gestern gesagt hab, tut mir leid.«
»Schon okay.«
»Es kam falsch rüber.«
»Echt, ist schon in Ordnung. Wir müssen nicht drüber reden.«
Er nickt sehr ernsthaft, fädelt sich immer noch Grashalme durch die Finger, sieht mich immer noch nicht an. »Du bist der Mühe wert.«
»Echt?«
»Ja.«
»Du willst dich also wieder vertragen?«
Er schaut auf. »Wenn du es willst.«
»Und du fragst dich bestimmt nicht mehr, was das Ganze soll?«
Genüsslich sehe ich mir an, wie er rot wird und verwirrt guckt. Vielleicht hat Dad recht, und ich überlasse mich meiner Wut.
»Ich glaube, es soll was«, sagt er.
»Dann verzeihe ich dir.«
Ich gebe ihm die Hand, und wir besiegeln es. Seine Hand ist warm.
Cal kommt zu uns rüber, dreckverschmiert, den Spaten in der Hand. Er sieht aus wie ein durchgeknallter Leichengräber im Kleinformat. »Das Grab ist fertig«, sagt er.
Adam hilft ihm, die Krähe auf das Schaufelblatt zu schieben. Sie ist steif und sieht schwer aus. Ihre Verletzung ist deutlich zu sehen: eine klaffende rote Wunde im Nacken. Ihr Kopf baumelt wie der eines Betrunkenen, während die beiden sie zwischen sich zu der Grube rübertragen. Unterwegs redet Cal mit ihr. »Armer Vogel«, sagt er. »Na komm, Zeit, dich auszuruhen.«
Ich wickle mir die Decke um die Schultern und gehe über das Gras hinter ihnen her, um zuzusehen, wie sie sie reinkippen. Ein Auge glänzt zu uns rauf. Sie sieht friedlich, wenn nicht gar dankbar aus. Ihr Gefieder ist jetzt dunkler.
»Sollten wir was sagen?«, fragt Cal.
»Auf Wiedersehen, Vogel?«, schlage ich vor.
Er nickt. »Auf Wiedersehen, Vogel. Danke, dass du da warst. Und viel Glück.«
Er schaufelt Erde drüber, lässt den Kopf aber unbedeckt, als könnte der Vogel sich ein letztes Mal umsehen wollen. »Was ist mit den Maden?«, fragt er.
»Was soll mit ihnen sein?«
»Ersticken sie nicht?«
»Lass ein Luftloch drin«, sage ich ihm.
Dieser Vorschlag gefällt ihm offenbar, und er krümelt Erde auf den Vogelkopf und klopft sie fest. Mit einem Stöckchen drückt er ein Loch für die Maden hinein.
»Hol ein paar Steine, Tess, damit wir es schmücken können.«
Folgsam mache ich mich auf die Suche. Adam bleibt bei Cal. Er erzählt ihm, dass Krähen sehr gesellig sind und dass diese Krähe bestimmt viele Freunde hat, die Cal dankbar sein werden, weil er sie so sorgfältig begräbt.
Ich glaube, er versucht mich zu beeindrucken.
Diese beiden weißen Steine sind fast vollkommen rund. Hier liegt ein Schneckenhaus rum, da ein rotes Blatt. Eine weiche graue Feder. Ich halte alles in der Hand. Es ist so wunderhübsch, dass ich mich an die Schuppenwand lehnen und die Augen schließen muss.
Das war ein Fehler. Es ist, wie ins Dunkel zu fallen.
Auf meinem Kopf ist Erde. Mir ist kalt. Würmer graben. Termiten und Körnerasseln kommen.
Ich versuche, mich auf gute Sachen zu konzentrieren, aber es ist so schwer, da rauszukrabbeln. Ich öffne die Augen, und
mein Blick fällt auf die rauen Finger des Apfelbaums. Ein Spinnennetz, das silbern bebt. Meine warmen Hände umfassen die Steine.
Aber alles Warme wird kalt werden. Meine Ohren werden abfallen, und meine Augen werden sich auflösen. Mein Mund wird fest verschlossen sein. Meine Lippen werden sich zu
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