Bevor ich sterbe
würde eine Melodie von ihnen erwarten. Dann verrenkt er den Hals, um zum CD-Bord hochzugucken, holt eine CD raus, liest das Cover und stellt sie zurück.
»Dad!«, brüllt Cal von unten. »Das Bild ist total verwackelt und Mum kriegt das nicht hin!«
Seufzend geht Dad in Richtung Tür, kann aber der Versuchung nicht widerstehen, im Vorbeigehen die Daunendecke geradezuziehen. Eine Zeit lang liest er meine Wand – all die Dinge, die mir fehlen werden, alles, was ich will. Er schüttelt den Kopf drüber, bückt sich dann, hebt ein T-Shirt vom Boden auf, faltet es und legt es auf mein Kopfkissen. Und da fällt ihm auf, dass meine Nachttischschublade einen Spalt offen steht.
Cal kommt näher. »Ich verpass meine Sendung!«
»Geh wieder runter, Cal! Ich komm ja schon.«
Was nicht stimmt. Er sitzt auf meiner Bettkante und schiebt
die Schublade mit dem Finger weiter auf. Da drin liegen ganze Stapel von Seiten mit Wörtern, die ich über meine Liste geschrieben habe. Meine Gedanken über das, was ich schon abgehakt habe – Sex, ja, Drogen, gegen das Gesetz verstoßen – und meine Pläne für den Rest. Er dreht durch, wenn er liest, was ich heute als Nummer fünf geplant habe. Ich höre Papierrascheln und wie ein Gummiring beiseitegeschoben wird. Das hört sich sehr laut an. Ich versuche mich aufzurappeln, um aus dem Schrank zu springen und ihn zu Boden zu ringen, aber Cal rettet mich, indem er die Zimmertür aufmacht. Dad stopft die Papiere in die Schublade zurück und knallt sie zu.
»Kann ich denn nie meine Ruhe haben?«, klagt er. »Nicht mal fünf Minuten?«
»Hast du dir Tessas Zeugs angesehen?«
»Geht dich das irgendwas an?«
»Wenn ich es ihr sage, schon.«
»Du lieber Himmel, jetzt mach aber mal halblang!« Dads Schritte stampfen die Treppenstufen runter, Cals hinterdrein.
Ich krabble aus dem Schrank und rubble meine Beine wieder wach. An meinem Knie spüre ich das träge, erstarrte Blut, und mein Fuß ist völlig leblos. Ich humple zum Bett rüber und lasse mich in dem Moment drauffallen, als Cal wieder reinkommt.
Erstaunt sieht er mich an. »Dad hat gesagt, du bist nicht da.«
»Richtig.«
»Doch, bist du wohl!«
»Pst, sei leise. Wo ist er hin?«
Cal zuckt die Schultern. »Mit Mum in der Küche. Ich hasse ihn. Er hat mich grade einen Satansbraten genannt und dann das Sch-Wort gesagt.«
»Reden sie über mich?«
»Ja, und sie lassen mich nicht fernsehen!«
Wir schleichen uns die Treppe runter und spähen über das Geländer. Dad sitzt mitten in der Küche auf einem Barhocker. Da oben sieht er unbeholfen aus, wie er in seiner Hosentasche nach Zigaretten und Feuerzeug kramt. Mum steht an den Kühlschrank gelehnt und beobachtet ihn.
»Wann hast du wieder zu rauchen angefangen?«, will sie wissen. Sie trägt Jeans und hat ihr Haar so nach hinten gebunden, dass ihr einzelne Strähnen lose ums Gesicht hängen. Jung und hübsch sieht sie aus, wie sie ihm da eine Untertasse reicht.
Dad zündet die Zigarette an und bläst Rauch durchs Zimmer. »Tut mir leid, es muss ganz danach aussehen, als hätte ich dich unter einem Vorwand hergelockt.« Kurz schaut er verwirrt drein, als wüsste er nicht, wie weiter. »Ich hab mir halt nur gedacht, du könntest sie vielleicht ein wenig zur Vernunft bringen.«
»Was glaubst du, wo sie diesmal hin ist?«
»So wie ich sie kenne, wahrscheinlich unterwegs zum Flughafen!«
Mum lacht leise in sich hinein, was seltsam ist, weil sie davon irgendwie lebendiger als Dad wirkt. Er lächelt ihr von seinem Hocker herab grimmig zu und fährt sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich weiß echt nicht weiter.«
»Das sehe ich.«
»Die ganze Zeit ändert sie die Spielregeln. Den einen Moment duldet sie keinen in ihrer Nähe, dann will sie stundenlang im Arm gehalten werden. Erst verlässt sie tagelang nicht das Haus, dann verschwindet sie, wenn ich am allerwenigsten damit rechne. Diese Liste von ihr macht mich noch wahnsinnig.«
»Weißt du«, sagt Mum, »das einzig Wahre, was irgendwer tun könnte, wär, sie wieder gesund zu machen, und das kann keiner von uns.«
Er sieht sie unverwandt an. »Ich weiß nicht, wie viel ich davon
noch allein schaffen kann. Manchmal kann ich mich morgens kaum überwinden, die Augen aufzumachen.«
Cal stößt mich an. »Soll ich ihn anspucken?«, flüstert er.
»Ja. Und zwar genau in seine Tasse.«
Er sammelt Spucke im Mund lässt einen Klumpen fliegen. Zielen konnte er noch nie. Er kommt nicht mal durch die Tür; das meiste davon läuft
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