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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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Kleister verflüssigen.
    Adam taucht auf. »Alles klar mit dir?«, fragt er.
    Ich konzentriere mich aufs Atmen. Ein. Aus. Aber Atmen erinnert mich an das Gegenteil, wenn ich darüber nachdenke. Meine Lunge wird austrocknen wie Papierfächer. Aus. Aus.
    Er berührt mich an der Schulter. »Tessa?«
    Kein Geschmack, Geruch, keine Berührung, kein Geräusch. Nichts zu sehen. Nichts als Leere bis in alle Ewigkeit.
    Cal kommt angerannt. »Was ist mit dir?«
    »Nichts.«
    »Du siehst komisch aus.«
    »Mir ist schwindlig geworden, als ich mich gebückt hab.«
    »Soll ich Dad holen?«
    »Nein.«
    »Ganz sicher nicht?«
    »Mach das Grab fertig, Cal. Mir geht’s gut.«
    Ich gebe ihm, was ich gesammelt habe, und er läuft los. Adam bleibt.
    Eine Amsel fliegt tief über den Zaun. Der Himmel ist graurosa gesprenkelt. Einatmen. Ein. Ein.
    Adam fragt: »Was hast du?«
    Wie kann ich es ihm sagen?
    Er berührt mit der flachen Hand meinen Rücken. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Seine Hand fühlt sich fest an, bewegt sich sanft kreisend. Wir haben uns geeinigt, Freunde zu sein. Machen Freunde so etwas?
    Seine Körperwärme strahlt durch das Gewebe der Decke,
durch meine Jacke, meinen Pulli, mein T-Shirt. Durch meine Haut. Es tut so weh, dass ich nur schwer einen Gedanken fassen kann. Mein ganzer Körper wird zum Sinnesorgan.
    »Hör auf.«
    »Was?«
    Ich schüttle ihn ab. »Warum gehst du nicht einfach weg?«
    Das war ein Moment mit einem Klang in sich, als wäre etwas sehr Kleines zerbrochen.
    »Du willst, dass ich gehe?«
    »Ja. Und komm nicht wieder.«
    Er geht über das Gras, verabschiedet sich von Cal und verschwindet wieder durch die Lücke im Zaun. Bis auf die Blumen am Liegestuhl ist alles so, als wäre er nie hier gewesen. Ich hebe sie auf. Ihre orangefarbenen Köpfe nicken mir zu, als ich sie Cal gebe.
    »Die hier sind für den Vogel.«
    »Cool!«
    Er legt sie auf die feuchte Erde, und zusammen stehen wir da und schauen auf das Grab hinab.

ZWANZIG
    D ad braucht ewig, um zu merken, dass ich weg bin. Ich wünschte, er würde sich was beeilen, weil mein linkes Bein eingeschlafen ist und ich mich bewegen muss, um nicht Wundbrand oder so was in der Art zu kriegen. Ich stemme mich in eine sitzende Stellung hoch, schnappe mir einen Pulli von dem Regalbrett über mir und stopfe ihn mit einer Hand unten zwischen die Schuhe, damit ich eine bessere Unterlage zum Sitzen habe. Die Schranktür knarrt einen Spaltbreit auf, während ich es mir bequem mache. Das hört sich kurz sehr laut an. Dann ist es wieder still.
    »Tess?« Meine Zimmertür wird aufgeschoben, und Dad kommt auf Zehenspitzen über den Teppich. »Mum ist da. Hast du mich nicht rufen gehört?«
    Durch den Spalt in der Schranktür sehe ich die Bestürzung auf seinem Gesicht, als er merkt, dass das Bündel auf dem Bett nichts anderes als mein Federbett ist. Er hebt es an und schaut drunter nach, so als könnte ich winzig klein geschrumpft sein, seit er mich zuletzt beim Frühstück gesehen hat.
    »Scheiße!«, ruft er aus und reibt sich mit einer Hand übers Gesicht, als verstünde er nicht, geht ans Fenster hinüber und schaut in den Garten raus. Neben ihm steht ein grüner Glasapfel auf dem Fensterbrett. Den habe ich geschenkt bekommen, als ich Brautjungfer bei der Hochzeit meiner Kusine war. Da war ich zwölf und hatte gerade erst meine Diagnose erfahren. Ich weiß noch, wie die Leute mir sagten, wie toll ich aussähe mit
dem Tuch mit Blumenmuster um meinen kahlen Schädel, während alle anderen Mädchen richtige Blumen im Haar hatten.
    Dad hebt den Apfel auf und hält ihn ins Tageslicht. Da sind sahneweiße und braune Wirbel drin, die wie das Kerngehäuse eines richtigen Apfels aussehen; falsche Kerne, die der Glasbläser hineingepustet hat. Langsam dreht Dad ihn in seiner Hand. Ich habe die Welt viele Male durch dieses grüne Glas angesehen – klein und ruhig sieht sie aus.
    Allerdings finde ich nicht, dass er meine Sachen anfassen sollte. Sondern er sollte sich um Cal kümmern, der etwas die Treppe raufruft, über die Luft, die hinten am Fernseher rauskommt. Außerdem sollte er runtergehen und Mum sagen, dass er sie nur deshalb gebeten hat vorbeizukommen, weil er sie wiederhaben will. Sich in Fragen der Disziplin verwickeln zu lassen geht ihr total gegen den Strich, auf dem Gebiet hat er also kaum Hilfe von ihr zu erwarten.
    Er legt den Apfel weg und geht zum Bücherregal, fährt mit einem Finger über die Rücken meiner Bücher, als wären sie Klaviertasten und er

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