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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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beide genug davon. Jede Fahrstunde fiel kürzer aus als die davor, bis wir ganz damit aufhörten und beide nicht mehr drüber redeten.
    »Bis zur Mittagszeit merkt er bestimmt nicht mal, dass das Auto weg ist«, sage ich ihr. »Und selbst dann, was will er machen? Wie du gesagt hast, mir kann keiner was.«
    Und wir lachen wie in alten Zeiten. Ich hatte ganz vergessen, wie gern ich mit Zoey lache. Sie kritisiert meine Fahrerei nicht so wie Dad damals. Sie kriegt keine Angst, wenn ich kratzend in den dritten Gang schalte oder wenn ich vergesse, am Ende ihrer Straße den linken Blinker zu setzen. Mit ihr neben mir fahre ich viel besser.

    »Du bist nicht schlecht. Dein Alter hat dir schließlich doch noch was beigebracht.«
    »Es macht mir Spaß«, erkläre ich ihr. »Stell dir vor, wie toll es wär, quer durch Europa zu fahren. Du könntest dir ein Jahr am College freinehmen und mitkommen.«
    »Ich will nicht«, sagt sie, nimmt die Karte in die Hand und verstummt.
    »Wir brauchen keine Karte.«
    »Warum?«
    »Stell es dir wie ein Roadmovie vor.«
    »Schwachsinn«, sagt sie und sticht mit einem Finger auf das Fenster ein.
    Vor uns versperrt eine Bande Jungs auf Zweirädern die Straße. Sie haben die Kapuzen hochgezogen, Zigaretten in gewölbten Händen. Der Himmel hat wirklich eine seltsame Farbe, und niemand sonst ist in der Nähe. Ich bremse ab.
    »Was soll ich machen?«
    »Fahr rückwärts«, sagt Zoey. »Die gehen da nicht weg.«
    Ich kurbele das Fenster runter. »Heda!«, rufe ich. »Bewegt eure Ärsche!«
    Sie drehen sich träge um, schieben im Zeitlupentempo ab an den Straßenrand und grinsen, als ich ihnen Kusshände zuwerfe.
    Zoey guckt verdutzt. »Was ist denn mit dir los?«
    »Nichts – ich finde bloß noch nicht den Rückwärtsgang.«
    Auf der Hauptstraße geraten wir in einen Stau. Durchs Fenster beobachte ich Puzzleteile aus den Leben anderer Leute. Ein Baby schreit in seinem Autositz, ein Mann trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. Eine Frau bohrt sich in der Nase. Ein Kind winkt.
    »Irre, was?«, sage ich.
    »Was?«
    »Ich bin ich, und du bist du, und alle die da draußen sind sie. Und wir sind alle so unterschiedlich und gleich unwichtig.«

    »Das gilt vielleicht für dich.«
    »Aber es stimmt. Kommt dir nie der Gedanke, wenn du in einen Spiegel guckst? Stellst du dir nie deinen eigenen Totenschädel vor?«
    »Nein, nicht wirklich.«
    »Ich kann das Einmaleins mit der Sieben und der Acht nicht, und ich mag weder Rote Bete noch Sellerie. Du magst deine Akne oder deine Beine nicht, aber im großen Ganzen spielt das alles keine Rolle.«
    »Halt den Mund, Tessa! Hör auf, Scheiße zu labern.«
    Ich gebe nach, aber in meinen Gedanken weiß ich, dass ich pfefferminzigen Atem von meiner Zahnpasta habe und ihrer sauer nach Rauch riecht. Ich habe eine Diagnose. Sie hat Eltern, die zusammenleben. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, war Schweiß auf meinem Bettlaken. Ich fahre jetzt. Im Autospiegel sehe ich mein Gesicht, mein Lächeln, meine Knochen, die sie verbrennen oder begraben werden. Es wird mein Tod sein. Nicht Zoeys. Meiner. Und dieses eine Mal fühlt sich das gar nicht so schlimm an.
    Wir reden nicht. Sie sieht nur aus dem Fenster, und ich fahre. Raus aus der Stadt, auf die zweispurige Schnellstraße. Der Himmel wird immer dunkler. Es ist toll.
    Aber dann fängt Zoey wieder an zu meckern.
    »Das ist die schlimmste Autofahrt, die ich je erlebt habe«, jammert sie. »Mir ist schlecht. Warum kommen wir nirgendwo an?«
    »Weil ich die Straßenschilder nicht beachte.«
    Verblüfft schaut sie mich an. »Warum machst du so was? Ich will irgendwo ankommen.«
    Ich trete fest auf das Gaspedal. »Okay.«
    Zoey schreit gellend auf und stemmt ihre Arme gegen das Armaturenbrett. »Fahr langsamer! Scheiße, du hast eben erst Autofahren gelernt!«

    Fünfzig. Sechzig. So viel Power in meinen Händen.
    »Fahr langsamer. Eben hat’s gedonnert!«
    Der Regen trifft auf die Windschutzscheibe. Von seinem Glanz auf dem Glas wird alles verschwommen und blendet. Es sieht aus wie Elektrizität, überhaupt nicht wie Wasser.
    Ich zähle leise im Kopf, bis der Blitz den Himmel durchzuckt.
    »Einen Kilometer entfernt«, sage ich ihr.
    »Fahr rechts ran!«
    »Wieso?«
    Der Regen prasselt jetzt kräftig auf das Autodach, und ich weiß nicht, wo die Scheibenwischer angehen. Ich fummle an den Lichtschaltern, der Hupe, der Zündung herum, vergesse dabei, dass das Auto im Vierten ist, und würge sofort den Motor ab.
    »Nicht hier!«,

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