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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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sondern eine Feststellung: Wenn das Universum an einem Tag entstanden wäre, dann hätte sich die gesamte Menschheitsgeschichte in den letzten zehn Sekunden abgespielt.
    »Das stimmt«, sagt Cal. »Menschen sind ja so was von unerheblich im Vergleich zum Sonnensystem.«
    »Ich glaub, ich sollte mir einen Job in einer Knallbonbonfabrik angeln«, sagt Mum. »Stellt euch bloß vor, das ganze Jahr über Witze erfinden, wär das nicht lustig?«
    »Ich könnte die Knallkörper reinstecken«, sagt Dad und zwinkert ihr zu. Sie haben wirklich schon weit über den Durst getrunken.
    Sally befingert ihre Frisur. »Soll ich meinen vorlesen?«
    Wir bringen einander zum Schweigen. Mit traurigen Augen liest sie: Ein Förster hat seinem Sohn die Waidmannssprache beigebracht. Als er sich beim Rasieren geschnitten hat, meldet der Kleine: »Papa, du schweißt am Löffel!«
    Cal kriegt einen Lachanfall. Er wirft sich von seinem Stuhl auf den Boden und rudert mit den Beinen in der Luft. Sally ist so erfreut, dass sie den Witz noch einmal vorliest. Er ist komisch.
Es fängt mit einem Kitzeln in meinem Bauch an und steigt in meinen Mund hoch. Auch Sally lacht, in lauten Hicksern. Sie sieht überrascht aus, dass sie so einen Lärm macht, worüber Mum, Dad und Adam kichern müssen. Was für eine Erleichterung. Was für eine verdammte Erleichterung. Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal laut gelacht habe. Mir laufen die Tränen über die Wangen. Adam reicht mir seine Serviette herüber.
    »Hier.« Seine Finger streifen meine.
    Ich wische mir die Augen. Nach oben, nach oben. Ich will dich überall mit meinen Händen berühren. Und bin kurz davor, es laut zu sagen, will gerade sagen: »Ich hab was für dich, Adam, aber es ist in meinem Zimmer, du musst also kommen und es dir holen«, als es ans Fenster klopft.
    Das ist Zoey, die sich die Nase an der Scheibe platt drückt, wie Mary in der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Sie ist erst zum Abendessen eingeladen, und ihre Eltern sollten eigentlich mitkommen.
    Sie bringt die Kälte herein und stampft vor uns allen mit den Füßen auf den Teppich. »Fröhliche Weihnachten zusammen«, sagt sie.
    Dad prostet ihr zu und erwidert den Wunsch. Mum steht auf und umarmt sie.
    Zoey sagt: »Danke.« Dann bricht sie in Tränen aus.
    Mum holt ihr einen Stuhl und ein paar Papiertaschentücher. Vor unseren staunenden Augen tauchen zwei gefüllte Früchtebrote mit Brandysoße auf. Zoey darf eigentlich keinen Alkohol zu sich nehmen, aber die Weinbrandsoße zählt vielleicht nicht.
    »Als ich zum Fenster reingeguckt habe«, schnieft sie, »hat es ausgesehen wie in einem Fernsehwerbespot. Fast wär ich wieder umgekehrt.«
    Dad fragt: »Was gibt’s Neues, Zoey?«

    Sie stopft sich einen Löffel Früchtepastete mit Soße in den Mund, kaut hastig und schluckt. »Was wollen Sie wissen?«
    »Alles, was du uns erzählen möchtest.«
    »Na ja, ich hab Schnupfen, und mir geht’s dreckig. Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Das liegt am erhöhten HCG-Spiegel«, erkläre ich ihr. »Dem Schwangerschaftshormon.« Am Tisch sind alle verstummt und sehen mich an. »Hab ich aus dem Reader’s Digest.«
    Ich weiß nicht, ob ich das laut hätte sagen sollen. Ich hatte vergessen, dass Adam, Cal und Sally gar nichts von Zoeys Schwangerschaft wissen. Aber keiner von ihnen sagt was, und Zoey macht es offenbar nichts aus, sie schaufelt sich einfach die nächste Ladung Nachtisch in den Mund.
    Dad fragt: »Und was ist zu Hause so los, Zoey?«
    Sorgfältig belädt sie noch mal ihren Löffel. »Ich hab’s meinen Eltern gesagt.«
    »Du hast es ihnen heute erzählt?« Er hört sich überrascht an.
    Sie wischt sich mit dem Ärmel den Mund. »War vielleicht schlechtes Timing.«
    »Was haben sie gesagt?«
    »Alles Mögliche, eins schlimmer als das andere. Sie können mich nicht ausstehen. Eigentlich kann niemand mich leiden. Außer das Baby.«
    Cal grinst. »Du kriegst ein Kind?«
    »Jap.«
    »Bestimmt wird es ein Junge.«
    Sie schüttelt den Kopf in seine Richtung. »Ich will keinen Jungen.«
    Dad fragt: »Aber du willst doch ein Kind?« Er sagt das sehr sanft.
    Zoey zögert. Als dächte sie zum allerersten Mal drüber nach. Dann lächelt sie ihm zu, mit feuchten, staunenden Augen. So
einen Ausdruck habe ich noch nie auf ihrem Gesicht gesehen. »Ja«, sagt sie, »das will ich wohl wirklich. Ich werde sie Lauren nennen.«
    Sie ist in der zwanzigsten Woche, der Fötus ist vollständig ausgebildet und schätzungsweise

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